Wie eine Austauschwoche die nationale Verbundenheit stärkt

Während der ersten nationalen Austauschwoche begegneten sich 2500 Schüler:innen aus verschiedenen Sprachregionen. Zudem tauschten die Tagesschau-Moderatorinnen von SRF und RTS ihren Arbeitsplatz. Der Sprung über die Sprachgrenzen macht die Vielfalt in der Schweiz sichtbar und fördert gleichzeitig den Zusammenhalt.

Die Hauptausgabe der Tagesschau, das gewohnte Signet läuft über den Bildschirm. Am Moderationspult begrüsst ein neues Gesicht. Und: Die Moderatorin spricht Französisch. Falscher Sender? Nein, nach der Begrüssung wechselt die Westschweizer Tagesschau-Moderatorin Fanny Zürcher ins Deutsche. Charmant und mit französischem Esprit präsentiert sie die Schlagzeilen, wobei ihr französische Begriffe und Namen wie «Macron» natürlich besonders leicht über die Lippen kommen. Zur gleichen Zeit begrüsst Andrea Vetsch das Westschweizer RTS-Publikum in der der Newssendung 19h30 auf Französisch.

Fanny Zürcher von RTS und Andrea Vetsch von SRF tauschen ihren Arbeitsplatz.

Der Moderatorinnentausch fand im November im Rahmen der ersten nationalen Austauschwoche statt. Während dieser reisten 2500 Schüler:innen aus der ganzen Schweiz über die Sprachgrenzen und nahmen an verschiedenen Aktivitäten teil. Die Austauschwoche wurde von Movetia organisiert, der nationalen Agentur für Austausch und Mobilität, die SRG zog als Medienpartnerin mit. Das Ziel: die Mehrsprachigkeit und Vielfalt sichtbar machen, den Zusammenhalt fördern.

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Die Vielfalt in der Schweiz ist ein Reichtum, den wir ausschöpfen sollten. Es ist nicht nur die Sprache: Die Vielfalt zeigt sich auch im Savoir-vivre.»
RTS-Moderatorin Fanny Zürcher
Eintauchen in eine andere, doch vertraute Welt

Der Sprung über den Röstigraben war für RTS-Moderatorin Fanny Zürcher nicht ganz einfach: «Natürlich muss man sich aus der Komfortzone herausbegeben. Bei der Anreise habe ich mich schon gefragt, warum ich zu diesem Austausch Ja gesagt habe.» Trotz der Bedenken: Die 33-Jährige bringt dafür alles mit. Aufgewachsen im zweisprachigen Biel, der Vater bilingue, die Mutter aus dem Jura, bewegt sich Fanny Zürcher ganz natürlich in beiden Sprachen. «Die Vielfalt in der Schweiz ist ein Reichtum, den wir ausschöpfen sollten. Es ist nicht nur die Sprache: Die Vielfalt zeigt sich auch im Savoir-vivre.» Auf ihren Austauschabend hat sich Fanny Zürcher sorgfältig vorbereitet. In den Tagen zuvor verfolgte sie die Redaktionssitzungen, tauschte sich mit Kollegin Andrea Vetsch aus, machte sich mit der Technik und Arbeitsweise bei SRF vertraut. «Die Abläufe bei der Tagesschau werden stärker von den Produzent:innen vorgegeben. Bei uns haben die Moderator:innen mehr Gestaltungsfreiraum.»

Wer vom Moderationsteam der SRF-Tagesschau nach Genf fahren sollte, war nicht so schnell klar. Andrea Vetsch nahm schliesslich die Herausforderung an: «Ich wurde überaus liebenswürdig empfangen. Es war wirklich ein Eintauchen in eine andere – und doch vertraute – Welt.» In Genf habe sie beispielsweise nach dem Weg gefragt. «Man sagt ‹vous›, duzt nicht so schnell wie etwa in Zürich. Ein feiner Unterschied, wie es einige gibt zwischen den Landesteilen.» Traumhaft sei das RTS-Studio, sagt die Moderatorin: «Es ist gross und luftig, man bewegt sich während der Sendung. Mal steht man, dann wieder spricht man am Tisch mit Gästen.» Nicht nur die Moderatorinnen hatten für die Sendung den Platz getauscht, sondern auch die Bundeshausteams. So schaltet Fanny Zürcher in der Tagesschau zu ihrem Kollegen Pierre Nebel, der für Deutschschweizer Empfinden ungewohnt deutlich gestikulierend den Rücktritt von Balthasar Glättli einordnete. Ist das der Courant normal bei RTS? Ja, sagt Fanny Zürcher: «Bei uns ist alles etwas temperamentvoller, wenn man so will, also eine Abendshow. SRF hingegen kommt für uns etwas steif und sehr strukturiert daher.»

Horizonterweiterung für Schüler:innen und Lehrpersonen

Schüler:innen von mehr als 100 Klassen nahmen am Sprachaustausch teil./SRF

Von der Andersartigkeit, wie sie die Moderatorinnen schildern, könne man profitieren, sagt Kathrin Müller, Mediensprecherin von Movetia. «Sie ermöglicht eine Horizonterweiterung – und das innerhalb unseres eigenen kleinen Landes.» Die Schüler:innen der mehr als 100 Klassen, die am Sprachaustausch teilnahmen, konnten diese Horizonterweiterung beispielsweise während Exkursionen, Workshops, bei Besuchen oder virtuellen Aktivitäten erfahren.

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Durch einen Sprachaustausch werden mehrere Kompetenzen gefördert.»
Kathrin Müller, Mediensprecherin von Movetia

Erleben Kinder bereits auf Primarstufe einen Kontakt mit Schüler:innen aus einer anderen Region, lernen sie nicht nur die Sprache, sondern auch kulturelle Unterschiede kennen: die Schule, den Pausenplatz, die Freizeitaktivitäten. Auf solchen Erfahrungen könne aufgebaut werden, sagt Kathrin Müller. «Durch einen Sprachaustausch werden mehrere Kompetenzen gefördert: Die Kommunikationsfähigkeit genauso wie die interkulturelle Kompetenz, gleichzeitig wird das Selbstbewusstsein der Kinder gestärkt.» Hätten sie es geschafft, die Sprachbarrieren zu überwinden, seien die Schüler:innen jeweils sehr stolz. Der Austausch sei überdies nicht nur für Schüler:innen lehrreich, sondern auch für Lehrpersonen, sagt die Mediensprecherin. «Sie lernen Kolleg:innen kennen, der Fremdsprachunterricht erhält eine neue Dynamik.» Sei man dafür offen, könne eine solche Horizonterweiterung Prozesse anstossen, die schliesslich zu Innovationen führen würden.

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Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider bei der Eröffnungsrede./Keystone

Vom Potenzial der Mehrsprachigkeit hatte auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider in ihrer Eröffnungsrede der Austauschwoche gesprochen. Das Potenzial dürfe ruhig noch mehr ausgeschöpft werden. «Es ist immer anstrengend, den Alltag hinter sich zu lassen, um sich auf eine andere Sprache einzulassen, in die Fremde zu ziehen, aus der Komfortzone auszubrechen. Danke, dass ihr das tut», sagte sie direkt an die Schüler:innen gewandt. Menschen kennenzulernen, die 100 Kilometer entfernt wohnten, Diversität zu verstehen, akzeptieren und schätzen zu lernen, sei ein erster Schritt zu mehr Weltoffenheit.

«Belle initiative, merci»

Zurück zu Fanny Zürcher in der Tagesschau. Am Ende der Sendung bedankte sie sich bei ihrem Deutschlehrer – sie hoffe, er sei ein bisschen stolz auf sie. Zudem regte sie die Zuschauer:innen an, hin und wieder 19h30 zu schauen. Auch Andrea Vetsch verabschiedete sich herzlich bei 19h30. In der Redaktion wurde daraufhin eine Flasche Weisswein geöffnet. «Für RTS war es ein sehr schönes Signal: Die ‹grosse› Deutschschweiz reist nach Genf und moderiert die Sendung. Wagt sich, Französisch zu sprechen», sagt Andrea Vetsch. Mit diesem Schritt scheint die Moderatorin viele Herzen im Sturm erobert zu haben. Auf dem Heimweg von Genf nach Zürich erreichten sie begeisterte Mails: «Ça représente totallement notre pays qui s’entend, partage et ce fait plaisir aussi des différences d’allocution des deux côtés de la sarine. Belle initiative, merci.»

 

Daniela Huwyler, Januar 2024

Hören Sie hier die Sendung Doppelpunkt von SRF 1 zum Thema Sprachaustausch

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