Mehr als Spiel, Spass und Spannung: Weshalb wir Unterhaltung brauchen
Unterhaltungssendungen haben es nicht leicht. Im Gegensatz zu Infosendungen werden sie oft als unnötig abgetan. Das ist falsch. Wieso, zeigt eine Sammlung von Forschungsergebnissen zum gesellschaftlichen Wert von Unterhaltung.
Nicht lustig. Zu seicht. Unnötig. Und die ewige Frage: Ist das wirklich die Gebühren wert?
Unterhaltungssendungen werden häufig stark kritisiert. Zuletzt etwa die neue SRG-Sendung «Late Night Switzerland» mit Stefan Büsser, aber auch bewährte Sendungen wie «Happy Day» oder «Tatort». Und selbst das gute alte «Guetnachtgschichtli» hat einen schweren Stand, wenn es um die Frage geht, ob es zu einem Service Public gehört.
Doch Unterhaltungssendungen per se haben ihren schlechten Ruf zu Unrecht: Sie sind wichtig für eine Gesellschaft. Denn Unterhaltung ist viel mehr als bloss Spiel, Spass und Spannung, mehr als Herzschmerz und heimwehgeplagte Auswander:innen. Unterhaltung kann den Zusammenhalt einer Gesellschaft fördern, das gegenseitige Verständnis und die Empathie, sie kann bilden und politisieren. Zu diesem Schluss kommt eine internationale Studie, die sich mit der Bedeutung von öffentlich-rechtlicher Unterhaltung befasst.
Beiträge von zwölf Wissenschaftler:innen
In der Studie, vom ORF initiiert und von diversen öffentlich-rechtlichen Medienhäusern Europas mitgetragen, beleuchten zwölf Wissenschaftler:innen das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Beiträge sind – obschon wissenschaftlich und an ein Fachpublikum gerichtet – grösstenteils gut zugänglich verfasst. Erklärt wird etwa, weshalb Unterhaltung ein öffentlich-rechtlicher Auftrag ist und das Feld nicht nur privaten Medienhäusern überlassen werden soll. Ein Argument: Als marktwirtschaftliche Unternehmen fokussieren private Medien auf Gewinn. Dadurch können (oder wollen) sie Unterhaltung mit hohem Qualitätsanspruch nicht oder nur bedingt leisten.
Was Unterhaltung können muss, damit sie relevant ist
Aber was zeichnet Unterhaltung aus, die gesellschaftlichen Mehrwert bringt? Dieser Frage gehen zwei Autorinnen der Universität Leipzig nach. Sie definieren vier zentrale Funktionen, die gesellschaftlich relevante Unterhaltung erfüllen muss.
So hat Unterhaltung erstens eine Integrationsfunktion: Sie spricht verschiedene gesellschaftliche Gruppen an und stiftet dadurch Gesprächsanlässe und Gemeinschaft. Meint: Es verbindet, wenn wir uns am Montag über den «Tatort» austauschen.
Das zweite Merkmal ist die Informationsfunktion: Sie ist vor allem wichtig für Menschen, die sonst wenig Informationsmedien nutzen. Qualitativ gute Unterhaltung bietet lebensnahe und gut verständliche Informationen. Meint: Wenn «Büssi» einen Witz über einen politischen Vorstoss macht, nehmen wir als Information quasi nebenbei mehr über diesen Vorstoss und dessen Hintergründe auf.
Die Vermittlungsfunktion von Unterhaltung geht noch etwas weiter: Sie bedeutet, dass politische und gesellschaftliche Fragen emotional vermittelt werden, wodurch beim Publikum die Empathie gefördert wird und das Interesse am gesellschaftlichen Diskurs und politischer Partizipation steigt. Meint: Wenn Mona Vetsch «mittendrin» unter Armutsbetroffenen ist, ist das nicht bloss eine unterhaltsame Sendung, in der die Moderatorin ins kalte Wasser geworfen wird und wir zuschauen können, ob sie ins Schwimmen kommt. Wir werden angeregt, über Armut und gesellschaftliche Strukturen nachzudenken, uns vielleicht politisch zu engagieren. Als letzte Funktion wird die Schutzfunktion erläutert: Unterhaltung in guter Qualität geht sensibel und verantwortungsvoll mit Themen um, enthält keine Falschinformationen oder diskriminierende Inhalte.
Wie Kinderfernsehen zur Entwicklung beiträgt
Nicht nur die gesamtgesellschaftliche Perspektive findet im Bericht Platz – einzelne Beiträge beziehen sich auf bestimmte Altersgruppen. So zeigt ein Beitrag anhand verschiedener Beispiele von Kindersendungen auf, dass und wie diese etwa für die Entwicklung von Kindern wertvoll sein können. Unterhaltendes Kinderfernsehen kann beispielsweise zur Identitäts- und Wertebildung der jungen Zuschauer:innen beitragen. Wenn als «Guetnachtgschichtli» also «Pingu» läuft, ist das mehr als ein fünfminütiges Getröte einer animierten Knetfigur. So werden Kindern etwa Themen wie Fairness oder Freundschaft vermittelt.
Wie in diesem Beitrag, liefert die Studie alles in allem wissenschaftlich fundierte und spannende Einblicke in das Thema Unterhaltung im Allgemeinen und in Unterhaltung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen im Speziellen. Es zeigt: Was gute Unterhaltung ist, kann und muss diskutiert werden, gerade auch in Zeiten veränderter Mediennutzung. Dass sie relevant ist für eine Gesellschaft – und zu Recht eine öffentlich-rechtliche Aufgabe – steht aber ausser Frage.
Malolo Kessler, März 2024