«Frauenfussball gewinnt durch mediale Präsenz auch kommerziell an Bedeutung»
Der Jubel ist gross: Aktuell findet in der Schweiz die Europameisterschaft im Frauenfussball statt. Sportexpert:innen sind überzeugt, die mediale Präsenz verleiht dem Sport einen Schub – und kann zu weniger Sexismus und Homophobie in der Gesellschaft beitragen.
Wir feiern, fluchen, fiebern mit – Fussball gehört zu den beliebtesten Sportarten überhaupt. Grosse Turniere ziehen ein Millionenpublikum an. Das ist bei den Spielen der Männer der Fall, war aber auch bei der letzten Frauen-EM so: Damals, im Sommer 2022, herrschte flirrende Aufregung im Wembley-Stadion. Fast 90‘000 Zuschauer:innen waren beim Final zwischen England und Deutschland live dabei. Zudem verfolgten rund 250 Millionen Zuschauer:innen aus 195 Ländern das Finalspiel im TV. SRF-Sportredaktorin Seraina Degen erinnert sich: «Die Stimmung war ebenso grossartig wie friedlich und das Publikum sehr divers. Besuchten früher eher Familien mit Kindern Fussballspiele der Frauen, sind es heute Menschen aller Altersklassen. Und auch viele Männer. Es ist ein Sport für die breite Bevölkerung.»

Die Schweizerin Alisha Lehmann in einem Freundschaftsspiel gegen Polen.
Auch für die aktuelle Frauen-EM, die gerade in der Schweiz ausgetragen wird, stehen die Prognosen gut: Über eine halbe Million Tickets wurden bereits gekauft und die UEFA rechnet mit einer weltweiten TV-Zuschauer:innenzahl von 500 Millionen. Sie hat grosse Hoffnung, dass die durchschnittlichen Besucher:innenzahl von 21’710 pro Spiel dieses Jahr noch übertroffen wird.
Weniger Sexismus dank Frauensport?
Was bedeutet die zunehmende Popularität des Frauenfussballs für den Sport, was auf gesellschaftlicher Ebene? Sportsoziologe Matthias Buser sagt, dass sie zum Beispiel zu weniger Sexismus führt. Dieser sei im Fussball ausgeprägt: «90 Prozent der Schiedsrichterinnen sagen, dass sie schon einmal Opfer von Sexismus wurden. Fussball ist eine der letzten Bastionen, wo traditionelle Männlichkeit über die Abwertung von Frauen oder auch homosexuellen Personen bewiesen werden kann.» Das Problem sei, dass es keine Sanktionen für sexistisches Verhalten gebe, keine Meldestelle für Betroffene. Mit dem zunehmenden Interesse am Frauensport wird die Öffentlichkeit aber stärker für das Thema Sexismus sensibilisiert. So tragen Medien laut Buser dazu bei, dass sexistisches Verhalten im Sport nicht mehr haltbar ist. Das gilt auch für Homophobie: Es gibt kaum Fussballspieler, die sich als homosexuell outen. Fussballerinnen hingegen schon – und: Sie sprechen offen über ihre sexuelle Orientierung. Das normalisiert Homosexualität im Sport.
«Wir wollen fester Bestandteil des Medienprogramms sein»
Mehr Popularität für den Frauenfussball setzt voraus, dass die Spiele regelmässig übertragen werden – und zwar auch ausserhalb von Welt- oder Europameisterschaften. Seit einigen Jahren überträgt die SRG Spiele der Schweizer AXA Women’s Super League. Marion Daube, seit 2022 Direktorin Frauenfussball beim Schweizerischen Fussballverband (SFV), schätzt das Engagement der SRG für den Frauenfussball: TV-Übertragungen seien von grosser Bedeutung und die Basis für weitere Entwicklungsschritte. Doch man sei noch nicht am Ziel: «Wir wollen fester Bestandteil des Medienprogramms sein, nicht nur dann, wenn es gerade in den Kalender passt oder wenn grosse Turniere oder Spiele anstehen. Der Blick auf unsere Nachbarländer, etwa nach Deutschland, zeigt, dass die Spiele der Frauen dort wöchentlich im TV gezeigt werden. Das muss auch für uns Ansporn sein.»
Auch Seraina Degen warnt: «Der internationale Frauenfussball entwickelt sich enorm. Die Schweiz muss schauen, dass sie den Anschluss nicht verpasst.» Und dann ist da noch die Frage nach dem Lohn. Zwar hat sich einiges getan, doch eine Gleichberechtigung ist noch lange nicht erreicht. Im Sommer 2022 wurden die Prämien des Schweizer Frauen-Nationalteams an jene der Männer angeglichen. Bonuszahlungen für EM- oder WM-Qualifikationen vom Hauptsponsor sind nun also gleich hoch, nicht aber jene des Schweizerischen Fussballverbands (SFV).
Lohnstatistiken zum Frauenfussball fehlen noch, aber Nati-Captain Lia Wälti sagte gegenüber CH-Media, ein gut bezahlter KV-Job in der Schweiz würde ihr mehr Lohn einbringen als der Profifussball in der Schweiz. Für Profi-Fussballerinnen bedeutet die Karriere meist eine grosse Doppelbelastung: «Die meisten arbeiten oder studieren Vollzeit. Es sind lange Tage für die Spitzenspielerinnen. Frauen leisten diesbezüglich mehr als die Männer», so Degen. Deshalb sind TV-Übertragungen wichtig. Sichtbarkeit schafft Interesse, die Sportart gewinnt auch kommerziell an Bedeutung und kann sich dadurch entwickeln und weiter professionalisieren, erklärt Degen weiter.
Ein Interview mit Tatjana Haenni, frühere Direktorin Frauenfussball beim Schweizerischen Fussballverband (SFV), darüber, wie die mediale Präsenz dem Frauenfussball einen Schub verliehen hat.
Fussballvereine leiden an Platzmangel
Um eine Professionalisierung möglich zu machen, müssten die Super-League-Clubs neben dem Nachwuchssport auch den Frauensport fördern. Sportsoziologe Matthias Buser sieht diesbezüglich allerdings noch einige Hürden: «Das sind Dynamiken, die erst noch ins Rollen kommen müssen», erklärt er. «Es kann für Vereine sehr vorausschauend sein, in den Frauensport zu investieren – aber ihre Entscheide sind häufig kurzfristiger Natur und da lohnt sich der Frauensport oft noch nicht.»
Und es gibt noch ein anderes Problem: Fussballvereine platzen jetzt schon aus allen Nähten und kämpfen vielerorts für Ressourcen und Trainingsplätze. «Selbst wenn ein Club motiviert ist, die Frauen zu fördern», so Buser, «haben sie keinen Platz. Es ist die Aufgabe der Behörden, diese Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen.»

Lara Dickmann bei der Qualifikation der Frauen WM 20219
(KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Immerhin: In Zürich haben die Teilnehmerinnenzahlen im Frauenfussball um 20 Prozent zugenommen, seit die Schweiz als Turnierausrichterin bekanntgegeben wurde. Die Stadt stellte ein Budget von 1,2 Millionen Franken bereit, um Mädchen mithilfe von Schulprogrammen den Zugang zum Fussball zu erleichtern.
Gegenüber uefa.com hielt die Turnierbotschafterin Lara Dickmann fest: «Als ich klein war, musste ich mit den Jungs spielen, weil es keine Mädchenteams gab. (…) Als Kind hatte ich männliche Vorbilder, doch wenn Mädchen zu Frauen aufschauen können, entsteht ein ganz anderer Bezug und das ist wirklich wichtig.»
Daniela Huwyler, April 2023, und Noemi Harnickell, aufdatiert Juni 2025
SRF und die weiteren sprachregionalen SRG-Sender übertragen alle 31 Partien der UEFA Women’s EURO 2025 in der Schweiz live und frei empfangbar. Zudem werden sie im Auftrag der UEFA die fünf Spiele in der Host City Zürich produzieren.