Wie die TV-Präsenz das Biathlon-Fieber anfacht
Im Februar 2025 fand zum ersten Mal eine Biathlon-WM auf Schweizer Boden statt. Live mit dabei: die SRG. Ihre TV-Übertragungen sind mit ein Grund, weshalb sich das Biathlon-Virus in der Schweiz in den letzten Jahren rasant verbreitet hat. Was die grosse Bühne für den einstigen Nischensport bedeutet.
Der Schaft drückt ihr in die Wange, ihr Blick ist fest auf die Zielscheibe gerichtet. Sie blinzelt nicht, atmet kaum. Dann: Schuss!
Schnell springt sie wieder hoch, vom Liegen ins Stehen, in Nullkommanichts, und sie zisch-zisch-zischt weiter die Piste entlang. Auf den Tribünen jubelt die Menge, schwenkt Schweizer Fahnen, aus den Boxen dröhnt Wavin’ Flag.
27 Fernsehstationen übertragen diesen Moment live in 53 Länder. Derweil sind insgesamt 85’000 Zuschauer:innen vor Ort dabei, sie reisten zwischen dem 12. und 23. Februar in die Lenzerheide, dazu kommen 300 Athlet:innen und 350 Betreuer:innen aus über 30 Nationen. Ein Budget von über zwölf Millionen Schweizer Franken wurde in den Grossanlass investiert. Es handelt sich, natürlich, um die Biathlon-WM, die dieses Jahr zum ersten Mal auf Schweizer Boden stattgefunden hat.
Vom Randsport zur olympischen Silbermedaille
Eine Biathlon-WM in der Lenzerheide, das wäre vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen. 2003 stand der Verband Biathlon Swiss vor dem finanziellen Kollaps. Er konnte nur gerettet werden, indem er 2004 als Abteilung in Swiss-Ski integriert wurde. 2006 machte der einheimische Klubtrainer und damalige Leiter der Gemeindeverwaltung Ursin Fravi erste Vorstösse, um den Bau einer Biathlon-Arena in Lantsch/Lenz zu verwirklichen. «Das grösste Hindernis war, ernstgenommen zu werden», erinnert sich Fravi im Interview mit RTR. «Als wir beim Amt für Wirtschaft vorsprachen, wurden wir fast ausgelacht. Sie hatten keine Ahnung, was Biathlon ist.»

Ursin Fravi war von 20 Jahren einer der Initianten der Biathlonarena.
Screenshot
Die Mischung aus Langlaufrennen und Schiesswettkampf ist in der Schweiz noch eine Randsportart, der bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde – im Gegensatz zu unseren Nachbarländern oder Skandinavien. Biathlon stand hierzulande lange Zeit im Schatten des Alpinsports. Erst mit dem Silbermedaillengewinn der Bündnerin Selina Gasparin bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi schaffte es der Biathlon auf die Schweizer Sportlandkarte. Ein Jahr davor war die Biathlon Arena Lenzerheide in Lantsch/Lenz fertiggestellt worden, im Mai 2022 wurde sie von Swiss-Ski übernommen.
Immer mehr Zuschauer:innen
Bis zur diesjährigen WM in Lenzerheide war es ein langer Weg. Die internationale Biathlon-Union hat strenge Vorgaben, was eine Arena alles beinhalten und wie eine Weltmeisterschaft ablaufen muss. «Uns war von Anfang an klar, dass es sich nicht um eine traditionelle Sportveranstaltung handeln wird», erklärt OK-Chef Jürg Capol. «Biathlon ist in der Schweiz eine Nischensportart, da gibt es noch kein Stammpublikum.»

OK-Chef Jürg Capol blickt stolz auf die Biathlon-WM zurück.
Keystone
Noch 14 Monate zuvor, so Capol, seien an Biathlon-Weltcups und -Weltmeisterschaften vielleicht tausend Schweizer:innen gewesen – die meisten von ihnen Angehörige der Athlet:innen. Umso bezeichnender ist die Tatsache, dass im Februar über 85’000 Gäste aus aller Welt nach Lenzerheide reisten, um den Biathlon zu feiern. Eine Zahl, die selbst die kühnsten Erwartungen der Organisator:innen übertraf.
«Die Zuwachsrate bei den Zuschauer:innenzahlen ist nirgends so hoch wie in der Schweiz», sagt Manuel Köng, der den Biathlon schon seit zehn Jahren als SRF-Sportreporter begleitet und jüngst auch einen Dokumentarfilm über die Sportart realisiert hat. «Die Zahlen haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt.» Auf SRF 2 schauten durchschnittlich 138’000 Leute die WM-Rennen. Das wiederum bekommen auch die Athlet:innen zu spüren: Mehr Publikum bedeutet mehr Sponsoring und dadurch eine grössere Verbreitung des Sports. Nach Ski Alpin ist Biathlon nun die Nummer 2 der Schneesportarten, auch wenn der Abstand zu den Alpinen Sportarten nach wie vor gross ist.

Manuel Köng und Matthias Simmen kommentierten gemeinsam die Live-Übertragung der Biathlon-WM – für 138’000 Zuschauer:innen.
Die Sportart macht sogar Schule
«Wer an der WM vor Ort war, wurde vom Biathlon-Virus erwischt», ist sich Manuel Köng sicher. Die Veranstaltung habe eine riesige Signalwirkung. Sie brachte Menschen mit einem ihnen bislang unvertrauten Sport erstmals in Berührung, liess sie teilhaben an der Stimmung – und ebnete womöglich sogar den Weg, um den Biathlon als Sport auch im Schulalltag zu integrieren.
Nachwuchs-Chefin Selina Gasparin hat mit Geldern aus dem «Legacy»-Programm der WM das Projekt «Biathlon 4 You» ins Leben gerufen. Das Projekt besucht Schulen in ganz Graubünden und bringt Kindern den Biathlonsport mit Hilfe von Laser-Gewehren näher. «Selbst Kinder, die nicht gerne rennen, geben Vollgas, wenn man es mit Schiessen kombiniert», sagte Gasparin gegenüber Watson.

Selina Gasparin, Nachwuchs-Chefin.
Sport-Krimi auf Langlaufski
Dass der Biathlon bei den Schweizer:innen so gut ankommt, überrascht Capol und Köng nicht. Der Sport sei ein bisschen wie ein Krimi, meint Capol. «Biathlon ist eine wahnsinnige körperliche und mentale Leistung», führt Manuel Köng aus. «Gerade beim Schiessen muss man schnell sein – aber nicht übereilig.» Während bei Rennen nicht immer eindeutig ist, wer gerade führt, können auch unerfahrene Zuschauer:innen live mitfiebern, wenn ein Ziel verfehlt oder nur ganz knapp getroffen wird. Die Komponente des Schiessens verleiht dem Sport ungewohnte Action.
«Es ist ein grosses Privileg, dieses Spektakel mit einer grossen Fernsehproduktion übertragen zu dürfen», sagt Köng. «Die Aufgabe bei einer TV-Übertragung ist es, die Leute teilhaben zu lassen – an der Spannung, den Emotionen, der sportlichen Hochleistung. Unsere Kommentatoren waren der Verzweiflung oft hörbar nahe – das nimmt auch das Publikum zu Hause mit!»
«Die schönste WM überhaupt»
In Diskussionen rund um die Heim-WM wird jedoch auch die Frage laut, ob eine solche Leistung nicht auch von privaten Sendern erbracht werden könnte. Die Produktionsrechte für das Weltsignal lagen bei der European Broadcasting Union (EBU). Das bedeutet, die EBU produzierte das Material, das von Fernsehstationen weltweit übernommen wurde. SRF 2 wiederum hatte die Rechte an der Live-Übertragung.
Der Erfolg der Biathlon-WM zeigt aber auch, was passieren kann, wenn die SRG dem Nischensport Raum gibt. Professionelle Bilder und eine grosse Plattform für Sport und Athlet:innen.
Die WM hat dem Biathlon in der Schweiz erstmals eine grosse Bühne verschafft. Auch für die Schweizer Athlet:innen war das ein besonderes Ereignis: «Die Athletinnen und Athleten sind es nicht gewohnt, ein Heimspiel zu haben», sagt Jürg Capol. «Ein Heimspiel begeistert anders.»

Auch der norwegische Biathlon-Star Johannes Thingnes Bö war an der WM dabei und lobte die Organisator:innen.
Die Schweizer Biathlet:innen konnten insgesamt fünf Klassierungen in den Top 6 verbuchen, für eine Medaille reichte es aber dennoch nicht. Aber Capol ist optimistisch: Die Schweiz habe nun eine Mannschaft, die im nächsten Weltcup vorne mit dabei sein werde.
Lenzerheide hat bereits den Zuspruch für die Weltcup-Austragungen 2028 und 2030. Und auch ohne grossen Sieg bleibt der Erfolg einer gelungenen Veranstaltung. Der fünffache Medaillengewinner Johannes Thingnes Bö aus Norwegen lobt: «Es war die schönste WM überhaupt!»
Noemi Harnickell
Manuel Köngs Dokumentarfilm «Biathlon in der Schweiz – Aufstieg einer Sportart» (2025) ist auf Play SRF verfügbar. Die Doku zeichnet den spektakulären Weg der Sportart Biathlon in der Schweiz in den letzten gut 20 Jahren nach. Vom Randsport und Fast-Kollaps des Verbands 2003 bis zur Heim-WM in Lenzerheide 2025 mit Schweizer Medaillen-Hoffnungen. Sie beleuchtet die entscheidenden Momente dieses Aufstiegs.