«Medien im Dialog»: Journalismus live erleben
Wie sieht der Alltag einer Korrespondentin aus? Und wie beweist man sich als Journalist:in gegenüber einem zunehmend kritischen Publikum? Diesen Fragen geht «Medien im Dialog» nach. Die Veranstaltungsreihe zeigt: Es ist wertvoll für das Publikum, mit Medien in Austausch zu treten und das journalistische Handwerk kennenzulernen.
Vor dem Meret-Oppenheim-Hochhaus neben dem Basler Hauptbahnhof stehen die Menschen für die Wahrheit Schlange. Wer keine Eintrittskarte mehr ergattern konnte, ist von zu Hause aus online zugeschaltet. Die Frage, die allen unter den Nägeln brennt: Wem kann man heute im Journalismus noch vertrauen?
Auf der Bühne des Auditoriums des SRF-Studios sitzen Philipp Cueni und Susanne Brunner. Er ist Medienjournalist, sie Leiterin der SRF-Auslandredaktion Audio.
Gemeinsam diskutieren sie an dem Abend über das Thema «Wahrheit im Journalismus – der Kampf um das Vertrauen des Publikums».
Transparenz schafft Vertrauen
Der Diskussionsabend findet im Rahmen der Reihe «Medien im Dialog» statt, die von der Volkshochschule beider Basel in Kooperation mit der SRG Basel organisiert wird. «Die Idee dabei», erklärt Moderator Philipp Cueni dem Publikum, «ist, dass Sie einen Blick hinter die Kulissen der Medienarbeit ergattern und so Ihr eigenes Vertrauen in die Medien überprüfen können.»
Cueni rief das Format 2020 ins Leben. Er beschäftigte sich davor schon lange mit der Frage, was es braucht, damit Qualitätsjournalismus überzeugt. Seine Erkenntnis: Je transparenter der Einblick in die Entstehungsprozesse, desto grösser das Vertrauen des Publikums. «Journalismus», sagt er, «ist ein wichtiges gesellschaftliches Instrument der Demokratie-Kontrolle.» Er habe nach einer Möglichkeit gesucht, auf attraktive Weise zu vermitteln, wie das journalistische Handwerk funktioniert.
Von der Sprache zur Kultur: Der Alltag einer Korrespondentin
Das Publikum hängt an Susanne Brunners Lippen, während sie vom Redaktionsalltag erzählt. Auslandskorrespondent:innen, meint sie etwa, müssen gerne Sprachen büffeln. «Englisch und Französisch gelten bei uns nicht als Fremdsprache. Die Leute lernen Arabisch, Türkisch oder Mandarin. Sprachen erleichtern nicht nur die Kommunikation, sie öffnen die Tür zur ganzen Kultur.»
Susanne Brunner ist seit über 30 Jahren als Reporterin tätig und berichtet regelmässig über den Krieg in Gaza. Dabei ist sie nicht nur damit konfrontiert, zwei gesellschaftlich stark polarisierenden Seiten gerecht zu werden. Sie muss auch die faktische Wahrheit herausfiltern. Keine einfache Aufgabe in Zeiten von Fake News und KI-generiertem Filmmaterial.
«Es geht bei den Recherchen oft darum, Augenzeugenberichte zusammenzusetzen», sagt sie. Ein ewiges Abgleichen: Stimmt Aussage A mit Aussage B mit Aussage C überein? «Mein Auftrag ist es, neben den Fakten auch die Feinheiten zu vermitteln», sagt sie. «Es ist wichtig zu verstehen, wie sich die Israelis nach dem 7. Oktober fühlen. Gleichzeitig müssen wir uns auch die Frage stellen: Wie ist es, auf einer Fläche zu leben, die halb so gross ist wie der Kanton Glarus?» Sie hält kurz inne, lässt die Gedanken im Publikum wirken. «Indem wir Situationen polarisieren», betont sie dann, «entmenschlichen wir sowohl die eine wie auch die andere Seite.» Um dem entgegenzuwirken, arbeitet Susanne Brunner jeweils mit verschiedenen Menschen vor Ort zusammen. «Jeder Mensch hat blinde Flecken», sagt sie. «Meine Aufgabe als Journalistin ist darum immer, mit beiden Seiten zu reden.»
Dialog mit dem Publikum als Chance
Philipp Cueni sieht den grossen Wert von «Medien im Dialog» gerade im Titel der Veranstaltungsreihe: im Dialog zwischen Medium und Publikum. Am Ende des Gesprächs hat das Publikum deshalb jeweils die Möglichkeit, selbst Fragen zu stellen.
«Früher waren die Menschen gegenüber Instanzen noch unkritischer, auch bei den Medien», beobachtet Cueni. «Heute sind sie skeptischer. Sie wollen genau wissen, was stimmt.» Das sei auch eine Reaktion auf das Internet, das ein Tempo und eine Menge an Nachrichten mit sich bringt, die das normale Publikum kaum mehr einordnen und auf Wahrheitsgehalt überprüfen kann. Das mache die Leute unsicher und misstrauisch, so Cueni. Darin sieht er aber auch Chancen. «Der neue Journalismus muss auf einer Metaebene erzählen, wie er arbeitet», erklärt er. «Qualitätsjournalismus soll ein kritisches Publikum ernstnehmen und einbeziehen. Die Herausforderung lautet: Wie können wir als Medien dazu beitragen, dass sich die Leute mit der Berichterstattung vertieft auseinandersetzen wollen?»
«Journalist:innen live zu erleben, macht sie nahbar»
Der volle Saal in Basel zeigt: Das Publikum wünscht den Dialog. Susan Lüthi, Programmleiterin Politische Bildung an der Volkshochschule beider Basel und Mitorganisatorin von «Medien im Dialog», sagt: «Bei der Veranstaltung sehen die Leute, was die SRG alles macht.» Besonders vor dem Hintergrund der Halbierungsinitiative sei es wichtig, die Leistungen des Journalismus verstehen und einordnen zu können.
Zwei Männer, die an diesem Abend im Publikum sitzen, bezeichnen die Veranstaltung als «Geschenk». Einer von ihnen ist 88. Der Wunsch, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, sagt er, nehme im Alter nicht ab. «Menschen zu erleben, von denen ich nur die Stimme aus dem Radio kenne, macht sie nahbar», sagt Publikumsgast Brigitte Bruderer. «Wenn ich Susanne Brunner live erlebe, kommt es mir gar nicht in den Sinn, an ihr zu zweifeln. Der Abend hat ihre Authentizität und Professionalität noch unterstrichen.»
«Medien im Dialog» wird 2025 fortgesetzt. Die grosse Beliebtheit des Formats ist ein kleiner Erfolg für Philipp Cueni und das Organisationsteam. Dennoch sieht er die Arbeit damit nicht als abgeschlossen an: «Medienhäuser müssen stärker mit ihrem Publikum in den Dialog treten», sagt er. «Auch die SRG sollte noch viele andere Formen ausprobieren, wie sie mit ihrem Publikum in den Austausch treten kann. Das ist herausfordernd – macht die journalistische Arbeit aber auch zusätzlich interessant.»
Noemi Harnickell, Juni 2024