«Was wir in der ‹Arena› leisten, ist Übersetzungsarbeit»
Gemäss WEF stellt die Polarisierung aktuell ein grosses Risiko für die Gesellschaft dar. Politsendungen können dazu beitragen, extreme Positionen zu bekämpfen und dieses Risiko zu minimieren. Ein Beispiel dafür ist die «Arena». An oberster Stelle der Sendung stehe eine ausgewogene Meinungsbildung, sagt Moderator Sandro Brotz.
Wir leben in einer Welt der Vielschichtigkeit. Das spiegelt sich in unserem demokratischen System wider: Sieben Bundesrät:innen aus vier verschiedenen Parteien tragen die Verantwortung für vier unterschiedliche Sprachregionen. 18 Parteien im Parlament vertreten die Interessen einer Bevölkerung, die in Stadt, Land, Bergen und Tälern lebt, die geprägt ist von Einwanderung und die zugleich an Traditionen festhält.
Die Polarisierung dieser vielschichtigen Welt passiert über Bilder und Emotionen, sie entsteht in den sozialen Medien und in Internetforen, wo Meinungen oft mehr zählen als Fakten. Gemäss dem Weltwirtschaftsforum (WEF) stellt die Polarisierung das drittgrösste Risiko der nahen Zukunft dar. Die Polarisierung ist nämlich nicht isoliert zu betrachten, sondern geht mit Fehlinformationen, wirtschaftlichem Abschwung, Schwächung der Menschenrechte und innerstaatlicher Gewalt einher.
EBU-Studie: Medien als Bollwerk gegen Polarisierung
Eine Studie der Europäischen Rundfunkunion (EBU) hat untersucht, welche Rolle dabei Politsendungen in Fernsehen und Radio spielen. Ihr Fokus liegt dabei vor allem auf der Europäischen Union und untersucht die spezifische Situation in der Schweiz nicht. Dennoch sind einige ihrer Erkenntnisse auch für die SRG interessant. Die Studie kommt zum Schluss, dass öffentliche und öffentlich-rechtliche Medien bei der Bekämpfung der Polarisierung eine entscheidende Rolle spielen. Medienhäuser wie die SRG haben eine grosse Reichweite und können Menschen vereinen. Sie wecken und steigern zudem ihr Interesse an Politik. Das ist ein entscheidender Faktor zur Verhinderung von Polarisierung. Durch Faktentreue und eine transparente Berichterstattung verringern sie Misstrauen und fördern die Nachrichtenkompetenz. Das trägt zur Entpolarisierung von Gesellschaften bei und gewährleistet eine langfristige politische und demokratische Stabilität.
Die Rolle der «Arena» in der Schweizer Politik
Anschaulich zeigt das die «Arena», eine politische Diskussionssendung auf SRF 1. Politiker:innen, Expert:innen und Betroffenen diskutieren jeweils vor Live-Publikum über aktuelle Themen. «An oberster Stelle steht eine ausgewogene Meinungsbildung», sagt Moderator Sandro Brotz. «Was wir in der ‹Arena› leisten, ist Übersetzungsarbeit: Die Sendung hilft den Leuten zu verstehen, wie die Politik tickt. Die Zuschauer und Zuschauerinnen sollten am Ende begreifen, was eine Abstimmung für sie bedeutet.» Der Name «Arena» ist nicht zufällig gewählt. Die Szenen erinnern häufig an einen Ringkampf. Zwischen vier und acht Kontrahent:innen stehen sich gegenüber, die Stimmung ist konfrontativ, die Diskussionen sind hitzig. Das gilt besonders für Sendungen kurz vor Abstimmungen – die sogenannten «Abstimmungs-Arenas».
Wenn Argumente aufeinanderprallen
Aber auch bei anderen Themen wird derweil mit harten Bandagen gekämpft. Zum Beispiel wenn es um die Finanzierung der Armee in Hinblick auf den Ukrainekrieg geht, wie in der Sendung vom 20. September. Da standen sich unter anderem die Vize-Präsidentin der Grünen, Marionna Schlatter, als Gegnerin einer Armee-Aufrüstung und die Politphilosophin Katja Gentinetta als Befürwortin gegenüber:
Sandro Brotz: «Können Sie es verantworten, dass die Armee verlottert, Frau Schlatter?»
Schlatter: «Die Vorstellung, dass die kleine Schweiz sich so einigelt und sich so selbständig gegen einen Aggressor wie Russland verteidigt an den Grenzen – ich glaube, das ist völlig vorbei. Die Schweiz ist ein kleines Land. Wir sind inmitten von Europa, wir haben ein geographisches Privileg. … Unsere Sicherheit und Stabilität hängt nicht von der Abschreckungswirkung von unserer Armee ab, sondern sie hängt davon ab, was wir für einen Platz haben auf der Welt. …»
Gentinetta: « Wenn Sie sagen, Sie können die Bedrohungslage nicht nachvollziehen und das gehe uns nichts an, dann höre ich quasi im Echo einen Klimaleugner. … »
Brotz: «Also Frau Schlatter lügt sozusagen die Bedrohung…?»
Gentinetta: «Nein, genau das wollte ich nicht sagen! Ich sage, es klingt ein bisschen so, als würde man sagen: ‹Alles, was die Fachleute sagen, glaube ich einfach nicht.› Und das finde ich schon interessant.»
Schlatter: « Das ist eine völlig falsche Unterstellung. Ich laufe mit offenen Augen durch die Welt. Die Differenz ist nur die: Welche Rolle können wir spielen für die Sicherheit auf der Welt? … Dort bin ich der Überzeugung, dass unsere Stärke nicht im Militärischen liegt.»

Diskutieren über das Stromversorgungsgesetz: Magdalena Martullo-Blocher, Vera Weber, Albert Rösti, Nadine Masshardt in der Arena vom 17. Mai 2024.
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Fakten sind in der Hitze der Debatte nicht immer von Emotionen zu unterscheiden, die Kontrahent:innen fallen sich ins Wort, korrigieren sich gegenseitig, brausen auf – dann schreitet Moderator Sandro Brotz ein.
Es sei jetzt an der Zeit, die andere Seite sprechen zu lassen, sagt er und blendet die Redezeiten ein. Am Ende der Sendung sollten Befürworter und Gegner für ihre Argumente gleich lang Zeit bekommen haben. «Ich bin der Überzeugung», so Brotz, «dass solche Debatten, wie wir sie in der ‹Arena› führen, den Kern freilegen, worum es wirklich geht.»

Moderator Sandro Brotz leitet die «Arena» mit journalistischem Feingefühl.
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Polarisierung beginnt schon vor der Diskussion
Immer wieder ist die «Arena» harter Kritik ausgesetzt. Sie bewege sich zu links oder zu rechts, sie sei zu wenig ausgeglichen oder zu homogen in der Auswahl der Gäste. «Oft hagelt es schon Kommentare, bevor die Diskussion überhaupt geführt wurde», stellt Brotz fest. «Sobald ich das Lineup der nächsten ‹Arena› bekannt gebe, gibt es Reaktionen. Aber das ist auch ein Zeichen für die Relevanz der Sendung.»
Die Studie der Europäischen Rundfunkunion betrachtet Sandro Brotz im Schweizer Kontext allerdings eher kritisch. Er finde es heikel, sie als Ausgangspunkt für eine Betrachtung der Schweizer Verhältnisse zu nehmen. «Wir haben mit Bundesrat und der Zauberformel sowie den direktdemokratischen Mitteln ein komplett anderes System als in den EU-Staaten», erklärt er. Es sei darum aus seiner persönlichen Sicht nicht angebracht, die SVP mit der AfD gleichzusetzen.

Die Redezeiten ermahnen die Teilnehmenden, die andere Seite nicht in Grund und Boden zu reden.
Die «Arena» als Spiegel der Gesellschaft
Seit ihrer Gründung 1993 bietet die «Arena» eine Mischung aus Begegnung, Austausch, Argumenten und Unterhaltung. Sandro Brotz, der die Sendung seit 2019 moderiert, nennt diese Kombination ein «Polit-Tetris»: Jeder Part muss passen. Von den Gästen über die Themen bis hin zur Einbindung des Publikums. Die «Arena» bewegt sich am Puls der Zeit. Sie macht zum Thema, was die Menschen aktuell bewegt. Das bedeutet Arbeit unter Höchstdruck für das Redaktionsteam, das aus fünf Vollzeitstellen besteht. Gäste anfragen, Themen recherchieren, Studien und Zahlen heraussuchen. «Meine Hauptaufgabe», sagt Brotz, «besteht darin, zu antizipieren, was die Gäste am Freitagabend sagen könnten – und letztlich bestmöglich auf alle Positionen und Eventualitäten vorbereitet zu sein.» Die «Arena» zu moderieren erfordert grosses journalistisches Geschick. Die Teilnehmer:innen dürfen sich nicht vor kritischen Fragen drücken oder sinnleere Parolen abliefern.
Jugendparlament in Schaffhausen feiert Wiedergeburt
Die «Arena» motiviert ihre Zuschauer:innen mitunter auch dazu, sich aktiv an demokratischen Prozessen zu beteiligen. Das zeigt ein Beispiel aus Schaffhausen: Eine Gruppe junger Erwachsener, die bei einer Sendungsaufzeichnung dabei waren, erfuhr dabei von einem Schaffhauser Jugendparlament, das keine Mitglieder mehr hatte. Dieses Jahr riefen acht von ihnen, der Jüngste ist erst 18, das Parlament wieder ins Leben.
Für Brotz das grösste Kompliment. «Die eher niedrige Stimm- und Wahlbeteiligung in der Schweiz bereitet mir Sorgen», gesteht er. «Es ist darum sehr wertvoll, wenn man junge Menschen für Politik begeistern kann.»
Noemi Harnickell