Glückskette: Motor der Solidarität und Vorbild für wirksame Spendenaktionen

Die Glückskette, der «humanitäre Arm der SRG»: Seit 78 Jahren sammelt die Stiftung Spenden für Opfer von Krisen und Katastrophen. Was sie in den Jahren bewirkt hat und warum sie für die SRG unerlässlich ist.

Grüezi! Bonjour! Guten Tag!», Telefone klingeln unaufhörlich, Papier raschelt und Tastaturen klackern im Rekordtempo: So klingt Solidarität.

Impressionen nationale Sammeltage

Über 200 Freiwillige beteiligen sich jeweils an den nationalen Sammeltagen der Glückskette. Sie nehmen in der Telefonzentrale Anrufe mit Spendenversprechen entgegen oder bereiten Spendenbriefe vor. Allein bis zum Mittag kommt  oft schon über eine Million Franken zusammen. Das Geld geht an die Opfer von aktuellen Umweltkatastrophen, Hunger, Epidemien oder Kriegen.

2 Milliarden Schweizer Franken gesammelt.

Die Glückskette ist der «humanitäre Arm der SRG». Gemeinsam wollen das Medienhaus und die Stiftung in der Schweiz die Solidarität mit Menschen auf der ganzen Welt fördern – und dies seit fast 80 Jahren. 2021 hatte die Glückskette seit ihrer Gründung 257-mal zu Spenden aufgerufen und dabei rund zwei Milliarden Schweizer Franken gesammelt.

Was macht das grösste Schweizer Hilfswerk so einzigartig? Und welche Rolle spielt die SRG dabei?

Das erste Glied: Eine Aktion in der Romandie

«Il ne faut pas rompre la chaîne, car elle doit passer partout. Nous reviendrons chaque semaine, n’oubliez pas notre rendez-vous!» –

«Die Kette darf nicht unterbrochen werden, denn sie muss überall hingelangen. Wir werden jede Woche wiederkehren, vergesst unsere Verabredung nicht!»

(«La Gavotte» von Roger Nordmann und Jack Rollan, 1946)

Das erste Glied in der Glückskette wird am 26. September 1946 auf Radio-Sottens (heute: RTS) geschmiedet. Es ist die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Die europäischen Nachbarländer liegen teilweise in Trümmern, in der Schweiz ist die Armut in der Bevölkerung überwältigend. Radiomoderator Roger Nordmann und Liedermacher Jack Rollan wollen helfen. Ihre Idee: Wenn jede:r Schweizer:in jedem betroffenen Menschen etwas Gutes täte, sähe die Welt dann nicht ganz anders aus?

So entsteht die Aktion «Chaîne du Bonheur». Eine Kette aus guten Taten : Wer einen Hilfeaufruf besonders gut erfüllt, darf die nächste gute Tat vorschlagen und so immer weiter, bis es niemandem mehr an irgendetwas mangelt.

Was als einmalige Aktion gedacht war, gewinnt sofort an Beliebtheit. «La Chaîne du Bonheur» wird zu einer wöchentlichen Sendung auf Radio-Sottens und das Lied «La Gavotte», das Nordmann und Rollan extra dafür geschrieben haben, zu einem Hit in der Westschweiz.

Das Lied «La Gavotte»

Es geht gar nicht lange, da können die Mitarbeitenden im Studio in Lausanne die Aufgabe nicht mehr allein stemmen. Kistenweise Zigarren, Würste, Matratzen, Schuhe und Spielzeug stapeln sich dort. Radio-Sottens entscheidet, eine Partnerschaft mit dem Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) einzugehen, das die Spenden verteilt.

Kistenweise Spenden kommen im Studio Lausanne an.

Von der Westschweiz springt der Funke der Solidarität auch auf den Rest des Landes über. 1947 nimmt das Deutschschweizer Radio Beromünster in Basel die «Glückskette» ins Programm auf. Und ab 1948 strahlt auch das Studio des Radio Monte Ceneri in Lugan die «Catena della Solidarietà» aus.

Gemeinsam für die gute Sache

Ursprünglich also Teil der SRG, ist die Glückskette seit 1983 eine unabhängige Stiftung. Dennoch sind die beiden Organisationen bis heute eng miteinander verbunden. Die SRG ist ein wichtiges Kommunikationsorgan der Glückskette.

«
Wenn sie in den Nachrichten Armut sehen, macht sie das sehr betroffen. Dieser Kontrasteffekt regt sie zum Spenden an.»
Miren Bengoa, Direktorin der Glückskette

Nach schwerwiegenden Katastrophen rufen sie gemeinsam zum Spenden auf, organisieren nationale Sammeltage. Die Kommunikation der SRG geht dabei über reine Spendenaufrufe hinaus. Als öffentliches Medienhaus ist es ihr Auftrag, Krisen und deren Auswirkung einzuordnen.

«Die Aufgabe der Glückskette war immer, über internationale Krisen zu berichten und das Bewusstsein für die Dinge zu schärfen, die sich weit weg von uns ereignen», sagt Miren Bengoa, Direktorin der Glückskette. «Diesem Solidaritätsgedanken ist die SRG bis heute treu geblieben.»

Indem die SRG über Katastrophen berichtet, ihre Auswirkungen einordnet und auf die Glückskette hinweist, veranlasst sie viele Menschen zum Spenden. «Die meisten Schweizer:innen sind sich bewusst, dass sie in einem sehr sicheren Land mit guten wirtschaftlichen Bedingungen leben», erklärt Bengoa. «Wenn sie in den Nachrichten Armut sehen, macht sie das sehr betroffen. Dieser Kontrasteffekt regt sie zum Spenden an.»

54 Millionen Franken für 344 Projekte

Miren Bengoa sieht die Stiftung als Motor menschlicher Solidarität. Die Glückskette habe die Aufgabe, «alle Formen der Grosszügigkeit» in messbare Aktionen umzusetzen. «Jede kleine Geste zählt», sagt sie. Allein im  Jahr 2023 hat die Glückskette 54 Millionen Schweizer Franken gesammelt und 344 Projekte in 40 Ländern unterstützt. Insgesamt 26 Schweizer Partnerhilfswerke leisten vor Ort Nothilfe und engagieren sich nach zerstörerischen Konflikten und Katastrophen für den Wiederaufbau.

Die Auswahl der Projekte erfolgt nach drei Kriterien. Erstens: Berichten die Schweizer Medien über die Lage vor Ort? Zweitens: Gibt es einen grossen Bedarf an humanitärer Hilfe – und fordern die betroffenen Länder diese ein? Drittens: Können NGOs in die Regionen reisen?

«
Informationen zu vermitteln und Themen sichtbar zu machen, ist journalistische Arbeit. Und die ist komplett unabhängig von uns.»
Miren Bengoa, Direktorin der Glückskette

Miren Bengoa sagt, gerade das Kriterium der Berichterstattung führe manchmal zu Kritik. Schliesslich leidet ja nicht nur, wer im Fokus der Medien steht. Aber die Spender:innen wollen ihr Geld nun einmal gern dorthin schicken, wo sie das grösste Leid erkennen. Sie könne, so Bengoa, die Redaktionen nur auf Ereignisse hinweisen. «Informationen zu vermitteln und Themen sichtbar zu machen, ist journalistische Arbeit» , sagt sie. «Und die ist komplett unabhängig von uns.»

Die langfristige Hilfe nach dem Tsunami

«Peut-être bien que notre ronde nous conduira jusque chez vous.» –

«Vielleicht wird uns unsere Runde bis zu euch nach Hause führen.»

(«La Gavotte» von Roger Nordmann und Jack Rollan, 1946)

Wie stark Bilder und Videos wirken, zeigt eine Sammelaktion aus dem Jahr 2004 – die grösste der bisherigen Geschichte der Glückskette. Im Zuge eines Seebebens versursachten zwei Sturmfluten in 13 südostasiatischen Ländern verheerende Schäden. 215’000 Menschen starben, 1,7 Millionen verloren ihre Häuser.

Auswirkungen Tsunami 2004

Die Bilder in den Zeitungen und im Fernsehen erinnerten an das Weltgerichtstriptychon von Hieronymus Bosch, ein apokalyptisches Gemälde aus dem 15. Jahrhundert. Die Verzweiflung und die Angst der Betroffenen waren förmlich spürbar, das Elend erschütterte die weltweite Gesellschaft bis tief ins Mark. 227,7 Millionen Franken wurden an die Glückskette gespendet. 20 Jahre nach dem Ereignis drängt sich die Frage auf: Hat das viele Geld etwas bewirkt?

Die kurze Antwort lautet: Ja. Die längere findet sich in einer 100-seitigen Wirkungsanalyse von Channel Research und GRM Futures (heute: Palladium Group) aus dem Jahr 2014. Der Bericht stellt fest, dass sich die Mehrheit der etwa 18’000 von der Glückskette unterstützten Haushalte von der Katastrophe erholen konnte. So verhinderte die Bereitstellung von Wohnraum für viele Betroffene ein Abrutschen in die Armut. Innerhalb von zehn Jahren konnten sie wieder eigenes Einkommen generieren und in Gemeinschaften leben, denen sie sich zugehörig fühlen. In dieser Entwicklung waren und sind sie nicht von der Glückskette und ihren Partnerorganisationen abhängig.

Die Hilfe soll auch dann noch wirken, wenn die Leute aufhören zu spenden. So kann sich der Einsatz der Spenden über mehrere Jahre ziehen.

Das Beispiel des Seebebens von 2004 illustriert, wie die Glückskette ihre Spendengelder einsetzt. Rund 15 Prozent fliessen in Nothilfeprojekte. 70 Prozent werden in den nachhaltigen Wiederaufbau investiert, darunter auch Projekte, welche die lokale Bevölkerung darin unterstützen, wieder autonom zu werden. Die Hilfe soll nämlich auch dann noch wirken, wenn die Leute aufhören zu spenden. So kann sich der Einsatz der Spenden über mehrere Jahre ziehen.

Auch in der Schweiz ist die Glückskette immer wieder im Einsatz. Im Frühsommer 2024 rief sie zu Spenden für die Opfer der Unwetter im Tessin, Wallis und in Graubünden auf. Die Glückskette unterstützt dabei vor allem Privatpersonen in den am stärksten betroffenen Gebieten. Hunderte Menschen hatten nach Sturzfluten in den Alpen ihre Häuser verlassen müssen, mindestens zehn kamen ums Leben.

Die Auswirkungen des Unwetters im Maggiatal (TI) 2024.

Effiziente Spendenkanalisierung der Glückskette

«Y’a du bonheur pour tout le monde, y’a du bonheur partout!» –

«Das Glück ist für alle da, das Glück ist überall!»

(«La Gavotte» von Roger Nordmann und Jack Rollan, 1946)

«Die Glückskette ist sehr effektiv darin, Spenden zu sammeln und zu kanalisieren», betont Martina Ziegerer. Sie ist Vorsitzende der ZEWO, der Schweizerischen Zertifizierungsstelle für gemeinnützige Spenden sammelnde Organisationen. Die Glückskette stelle sicher, so Ziegerer, dass die gesammelten Mittel zielgerichtet und sinnvoll eingesetzt werden. «Die Spenden werden sehr systematisch in Projekte geleitet, wo sie am dringendsten benötigt werden und die grösste Wirkung haben.»

«
Für ein Medienhaus ist eine Stiftung wie die Glückskette sehr wertvoll.»
Martina Ziegerer, Vorsitzende der ZEWO

Zwar arbeitet die Glückskette ausschliesslich mit ZEWO-zertifizierten Partnerorganisationen zusammen, selbst zertifiziert ist sie allerdings nicht. Das liegt nicht daran, dass sie die Standards nicht erfüllen würde, nach eigenen Angaben tut sie dies. Eine Zertifizierung ist vielmehr aus formellen Gründen nicht möglich: Die Glückskette spendet immer direkt nach einem Ereignis und richtet sich damit nicht nach dem Sammelkalender der ZEWO, der vorgibt, wann welches Hilfswerk sammeln darf.

«Für ein Medienhaus ist eine Stiftung wie die Glückskette sehr wertvoll», sagt Ziegerer. Die Glückskette liefere der SRG Inhalte über humanitäre Hilfe und internationale Krisen. «Dadurch unterstützt die Glückskette den Bildungsauftrag der SRG, die Öffentlichkeit nicht nur zu informieren, sondern auch zu bilden.»

Nicht zuletzt lädt die Glückskette das SRG-Publikum zum Mitmachen ein. Ob durch Freiwilligenarbeit, private Sammelveranstaltungen oder kleine regelmässige Geldspenden – Berichte über die Projekte der Glückskette, machen das Publikum mitverantwortlich für eine bessere Welt. Ganz nach dem Motto von 1946: «Y’a du bonheur pour tout le monde.» – Das Glück ist für alle da.

 

Noemi Harnickell, August 2024

Kommentar

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