Für weniger Barrieren: Wie sich die SRG in der Forschung engagiert
Wer am politischen und gesellschaftlichen Leben teilhaben will, muss informiert sein. Das ist nicht für alle gleich einfach möglich: Für Menschen mit einer Hör- oder Sehbehinderung ist der Zugang zu Medieninhalten oft erschwert. Deshalb engagiert sich die SRG in der Forschung und treibt innovative Projekte voran, die mit Hilfe von KI verschiedene Dienstleistungen automatisieren wollen.
Manchmal ärgert sich Martina, wenn sie den Fernseher einschaltet: Nicht immer sind die aktuellen Nachrichten in ihrer Muttersprache – der Gebärdensprache – verfügbar. Für die Gehörlose eine Herausforderung, zumal sie sich gerne informieren möchte. Das soll sich nach und nach ändern.
So hat sich die SRG dazu verpflichtet, bei immer mehr Programmen Gebärdensprachdolmetscher:innen einzusetzen und alle Programme bis 2027 zu untertiteln. Das bringt für das Medienhaus allerdings einen grossen Aufwand mit sich und lässt sich nicht so leicht umsetzen. Denn Gebärdendolmetschende oder Audiodeskription sind teuer. Grosses Potenzial, um die Kosten für diese Dienste zu senken, bietet aber die Automatisierung durch Künstliche Intelligenz (KI). Deshalb ist und war die SRG in verschiedenen Projekten involviert, die mit innovativen Technologien einen barrierefreien Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien für Menschen mit Behinderung schaffen möchten.
«Es benötigt weitere Forschung»
Eines dieser Projekte war «Easier». Beim bis 2023 laufenden Forschungsprojekt, für das sich die SRG-Tochter Swiss TXT engagiert hat, sollte ein vollautomatisiertes Übersetzungs- und Kommunikations-Tool entwickelt werden, das gehörlosen und hörenden Menschen die Kommunikation und Interaktion in der Gebärdensprache ermöglicht. Zwar erzielte das Projekt bis zu seinem Abschluss wichtige Fortschritte – das Ziel, ein marktfähiges Produkt zu entwickeln, wurde jedoch nicht erreicht. Der Hauptgrund: Es fehlte an Daten. Von diesen braucht es nämlich enorm viele, um eine KI ausreichend zu trainieren. «Bei der Gebärdensprachübersetzung stehen wir heute da, wo wir vor über 30 Jahren bei der Übersetzung gesprochener Sprache waren», sagt Projektleiter Giacomo Inches. Um ein Kommunikationstool zu entwickeln, benötige es weitere Forschung.

Projektleiter Giacomo Inches
KI schreibt Skripte für Audiodeskription
Diese vertiefte Forschungsarbeit geschieht etwa im Programm IICT (Inclusive Information and Communication Technologies) der Universität Zürich, in das Swiss TXT ebenfalls involviert ist. Das Programm umfasst fünf Teilprojekte: Während sich eines mit der automatisierten Gebärdensprachübersetzung beschäftigt, befasst sich ein zweites mit dem Thema Audiodeskription (AD). Diese ermöglicht sehbehinderten Menschen den Zugang zu visuellen Inhalten: Relevante Handlungen und Merkmale von Videos, inklusive angezeigter Text, werden akustisch beschrieben. Die AD basiert dabei auf Skripten, die nach gewissen Konventionen aufgebaut sind. Im IICT-Teilprojekt sollen diese AD-Skripte nun mit Unterstützung von KI halbautomatisch durch visuelle Szenenerkennung und Textgenerierung erstellt werden. Halbautomatisch deshalb, weil die Skripte noch von einem Menschen überarbeitet werden müssen. «Aktuell sind die Systeme noch nicht gut genug, dass sie AD komplett allein erstellen können. Ziel ist eine Effizienzsteigerung mit Hilfe der Maschine», sagt Programmleiterin Sarah Ebling von der Universität Zürich.

Sarah Ebling, Programmleiterin der Universität Zürich
Enge Zusammenarbeit mit Betroffenen
Die drei weiteren Unterprojekte von IICT befassen sich mit automatischer Textvereinfachung, gesprochenen Untertiteln und Gebärdensprachüberprüfung. Bei all diesen Projekten beziehen Forscher:innen die Betroffenen eng mit ein. «Wir suchen ständig den Austausch. Das ist gerade bei der Gebärdensprache wichtig. Hier hat man jahrelang Technologien an den Gehörlosen vorbei entwickelt», sagt Ebling. Dies habe zu Unmut und Ängsten geführt. «Das soll sich bei IICT nicht wiederholen.»
Sowohl die in den IICT-Projekten erhobenen Daten und Ergebnisse als auch jene aus «Easier» sind frei zugänglich. Damit stiften die Projekte nicht nur der SRG einen Nutzen, sondern kommen der ganzen Gesellschaft zugute: Die Barrierefreiheit kann dank der Forschungen wichtige Fortschritte machen – und damit auch die politische und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit einer Behinderung.
Kevin Hofer, Juli 2024