Die Ombudsstelle antwortet immer – im Gegensatz zu YouTube & Co.

Die Ombudsstelle ist eines der Instrumente, welches die SRG von Google, Tiktok oder Meta unterscheidet. Wer denkt, eine Story sei unfair oder falsch gewesen, kann sich beschweren und bekommt in jedem Fall eine Antwort. Die Arbeit der Ombudspersonen ist nicht immer einfach, aber wichtig für die Qualität der Medien und damit auch für die Demokratie.
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Eine E-Mail genügt. Ein derart publikumsfreundliches System gibt es in keinem unserer Nachbarländer.»
Roger Blum, ehemaliger Ombudsmann
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Roger Blum leitete bis 2020 die Ombudsstelle der SRG Deutschschweiz.

Der Medienwissenschaftler Roger Blum weiss, wovon er spricht: Bis 2020 leitete er die Ombudsstelle der SRG Deutschschweiz, zuvor war er unter anderem Präsident der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI). Dass Medienkonsument:innen sich beschweren können, gehört in der Schweiz zur Qualitätssicherung. Das System hier sei sowohl bei privaten Medien als auch bei der SRG sehr einfach und vorbildlich, sagt Blum. «Ein E-Mail genügt. Ein derart publikumsfreundliches System bei den Ombudsstellen gibt es in keinem unserer Nachbarländer.»

In der Schweiz wurden die Ombudsstellen 1992 mit dem Radio- und Fernsehgesetz eingerichtet. Für die privaten Medien gibt es drei Beschwerdeinstanzen. Die SRG hat deren fünf: eine pro Sprachregion sowie eine für swissinfo.ch. Die Stelle in der Deutschschweiz wird derzeit von Esther Girsberger und Urs Hofmann geleitet. Das Arbeitsvolumen ist gross, pro Jahr kommen rund 1000 Beanstandungen zusammen. Jede muss innerhalb von 40 Tagen schriftlich beantwortet werden. «Ja, die Arbeit macht Spass», sagt Esther Girsberger nach kurzem Überlegen. «Ich wünschte nur, ich hätte ein bisschen mehr Zeit für die substanziell wirklich spannenden Anfragen.»

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Jede Beanstandung wird sorgfältig bearbeitet.»
Esther Girsberger, Co-Leiterin der Ombudsstelle SRG Deutschschweiz

Esther Girsberger und Urs Hofmann

Deutschschweiz: Klima und Krieg als Dauerbrenner

Die Beanstandungen betreffen mehrheitlich Informationssendungen und behandeln Themen querbeet. Gemäss Esther Girsberger fällt auf, dass die Anfragen vorwiegend aus dem rechtsbürgerlichen Lager kommen und die Ausgewogenheit betreffen: Man zeige beispielsweise nur rechtsextreme Demonstranten und keine linksextremen. Oder die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni werde unvorteilhaft gezeigt – im Gegensatz zu Oppositionsführerin Elly Schlein. Seit 2023 spiele auch das Gender-Thema eine grosse Rolle. Häufig beanstandet würden aktuell zudem Beiträge über den Klimawandel, Covid-19 und den Ukrainekrieg. «Die Kriegsberichterstattung wird meist von prorussischen Sympathisant:innen kritisiert», sagt Girsberger. «Wir haben auch die ewiggleichen wenigen Leute, die mindestens einmal pro Monat eine Beanstandung einreichen. Das ist ermüdend. Aber jede Beanstandung wird sorgfältig bearbeitet.» Das heisst: Die Sendung wird zuerst mehrfach gesichtet, dann wird eine Stellungnahme der Redaktion eingeholt, anschliessend verfasst die Ombudsstelle einen Schlussbericht. Ein neuer Trend sind laut der Ombudsfrau auch Beanstandungen, die von Anwält:innen im Auftrag ihrer Mandant:innen eigereicht werden. Wie beispielsweise: Eine suspendierte Trainerin im Sportsektor wird namentlich kritisch erwähnt, was persönlichkeitsverletzend sei. Bei solchen Beanstandungen muss die schriftliche Antwort auch rechtlich einwandfrei erfolgen.

Und welches sind die Themen, für die Esther Girsberger gerne mehr Zeit hätte? «Beispielsweise, dass die Tour de Suisse der Männer ein grosses Thema war, nicht jedoch die Tour de Suisse der Frauen. Oder dann eben Beanstandungen wie jene wegen der Namensnennung der Trainerin.» Aufschlussreich sei jeweils der Austausch mit betroffenen Redaktionen, der in der Regel offen und wertschätzend ablaufe. Im Schnitt werden von den jährlich 1000 Beanstandungen, die bei der SRG Deutschschweiz eingehen, gut 20 an die UBI weitergezogen. In den Jahren 2021 und 2022 wurden davon schliesslich drei beziehungsweise vier gutgeheissen.

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In einem Gespräch kann direkter, aber gleichzeitig auch vorsichtiger argumentiert werden.»
Raymonde Richter, Ombudsfrau der SRG Westschweiz
In der Westschweiz: Das Publikum ist zum persönlichen Dialog eingeladen

Bei der Ombudsstelle in der französischen Schweiz setzt Ombudsfrau Raymonde Richter auf den persönlichen Kontakt. «In einem Gespräch kann offener und differenzierter argumentiert werden, insbesondere auch, weil der Austausch vertraulich bleibt», sagt sie. Ein Viertel bis ein Drittel der jedes Jahr aufgenommenen Beanstandungen werden in Gesprächen anstatt in schriftlichen Verfahren behandelt. Im Gegensatz zu ihren Deutschschweizer Pendants bleibt Raymonde Richter in der Rolle einer vermittelnden Drittperson und äussert sich nicht zur Berechtigung der vorgebrachten Argumente. Die beanstandeten Themen sind sehr vielfältig und mehrheitlich aktueller oder gesellschaftlicher Natur. Im Jahr 2022 gingen zum Beispiel Beschwerden ein, die Folgendes zum Gegenstand hatten: wie in der Deutschschweiz Corona und Georgia Meloni, jedoch auch Abtreibung, das Tragen eines Kopftuches oder Humor im Zusammenhang mit Religion.

Dass in der Westschweiz die Beanstandungen häufiger in Sitzungen als schriftlich behandelt werden, ist für den ehemaligen Schlichter der Ombudsstelle Deutschschweiz, Roger Blum, naheliegend: «Die Belastung ist unterschiedlich: In der Deutschschweiz sind es jährlich 800 bis 1000 Beanstandungen, in der Romandie 50, in der italienischen Schweiz noch weniger.» So sei es in der Romandie und im Tessin möglich, Sitzungen durchzuführen, an denen Beanstander:in und Redaktion vertreten sind. «In der Deutschschweiz gab es zu meiner Zeit zwei oder drei Fälle, aufgrund derer man zusammenkam.» Das ist auch bei seinen Nachfolgern so.

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Ombudsfrau Raymonde Richter setzt in ihrer Arbeit auf den persönlichen Kontakt.

In Graubünden: Direkter Draht zur Redaktion

Die Ombudsstelle in Graubünden glänzt mit wenigen bis gar keinen Fällen. Toni Hess leitet die Stelle seit 25 Jahren, und in den letzten zehn Jahren gab es insgesamt rund zehn Beanstandungen. Leider, wie Toni Hess sagt. Denn: «Wenig Fälle bedeuten wenig Routine.» Als Gründe sieht er zwei Punkte: «Erstens: Man kennt sich hier in Graubünden. Wenn jemand mit einem Beitrag Mühe hat, dann ruft er einen Kollegen auf der Redaktion an. Und dann ist die Sache geklärt.» Der zweite Grund: RTR habe weniger kritische Sendungen im Programm als SRF. Beanstandungen gab es dann, wenn beispielsweise bei Projekten Aufträge intern vergeben wurden. Oder bei einem Beitrag zu einer «Hausmetzgete», bei dem der Vorwurf der Tierquälerei aufkam. Weil Toni Hess so wenig Fälle hat, kann er bei Beanstandungen bei den privaten Medien aushelfen. Die Wichtigkeit der Ombudsstelle in Graubünden sei für ihn dennoch klar gegeben: «Die Ombudsstelle ist wie eine Präsenzflotte im Seekrieg. Sie beeinflusst das Kriegsgeschehen, ohne den Hafen verlassen zu müssen.»

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Toni Hess leitet die Ombudsstelle in Graubünden seit 25 Jahren.

Swissinfo: Auch für Kommentare gibt’s Kriterien

Bei der Ombudsstelle von swissinfo.ch sind die Beanstandungen überschaubar: Im vergangenen Jahr waren es sechs. Die ehemalige Ombudsfrau Sylvia Egli von Matt stellt zwei Trends fest: Einerseits stehen Leser:innenkommentare und der redaktionelle Umgang damit mehr im Fokus. Auch dieses Feld soll journalistisch kritisch und ausgewogen betreut werden. Als zweiter Punkt beobachtet auch sie, dass Anwaltskanzleien häufiger Beschwerden übernehmen. Sylvia Egli von Matt sagt dazu: «Als Ombudsfrau ist es nicht immer ganz einfach, schwerpunktmässig auf dem journalistischen und nicht auf dem juristischen Pfad zu wandern.»

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Als Ombudsfrau ist es nicht immer ganz einfach, schwerpunktmässig auf dem journalistischen und nicht auf dem juristischen Pfad zu wandern.»
Sylvia Egli von Matt, ehemalige Ombudsfrau von swissinfo.ch.
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Die ehemalige Ombudsfrau von swissinfo.ch, Sylvia Egli von Matt.

Die Arbeit der Ombudspersonen ist also je nach Stelle unterschiedlich aufwendig und aufreibend. Die Wichtigkeit der Ombudsstellen ist aber überall gegeben: Dass Medienkonsument:innen eine Anlaufstelle haben, um kritische Punkte der Berichterstattung zu benennen, zu beanstanden und profund beantwortet zu bekommen, ist in einer Demokratie ein hohes Gut.

Daniela Huwyler, Februar 2024

Kommentar

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