«Die Demokratie braucht den Journalismus»
Wie spielen Medien und Demokratie zusammen? Dieser Frage sind Stefanie Bosshard, ehemalige Geschäftsführerin der Schweizer Demokratie Stiftung, und die Mazedonische Medienexpertin Vesna Nikodinoska an der Tagung «Medien und Demokratie» nachgegangen. Im Interview erklären sie, warum eine funktionierende Demokratie Medienkompetenz braucht und weshalb gerade der Lokaljournalismus wichtig ist.
Stefanie Bosshard (links) und Vesna Nikodinoska.
Bildmontage, zVg
Frau Bosshard, Frau Nikodinoska, sie kommen aus sehr unterschiedlichen kulturellen Hintergründen – Schweiz und Nordmazedonien. Die Schweiz hat seit rund 200 Jahren ein demokratisches System, während Nordmazedonien, das seit 1991 ein unabhängiges Land ist, eine relativ junge Demokratie ist. Wie wichtig ist der Journalismus für die Demokratie?
Vesna Nikodinoska: Die Demokratie in Nordmazedonien braucht den Journalismus. Es ist seine wichtigste Aufgabe, die regierenden Parteien und die von ihnen verfolgte Politik zu überwachen. Journalismus kann Druck ausüben, staatliche Institutionen und Regierungen zur Verantwortung ziehen und Transparenz fördern.
Stefanie Bosshard: Die Medien sind die Vierte Gewalt der Demokratie. Sie sind ein Kontrollinstrument des Volks und darum für den Erhalt der Demokratie unabdingbar. Leider habe ich den Eindruck, dass viele Leute vergessen haben, was Demokratie eigentlich ist und welche Rolle die Medien dabei spielen. Guter Journalismus wird kaum mehr wertgeschätzt. Das sieht man daran, dass viele Leute etwa keine Medienabgaben mehr bezahlen wollen.
Nordmazedonien unterscheidet sich kulturell, historisch und politisch stark von der Schweiz. Frau Nikodinoska, können Sie uns die mediale Landschaft in Ihrer Heimat etwas näher beschreiben?
Nikodinoska: Wir sind ein kleines Land, aber wir haben eine breite Medienlandschaft. Unser öffentlich-rechtlicher Rundfunkanbieter MRT hat fünf verschiedene Sender. Dazu kommen verschiedene private Anbieter mit nationaler Reichweite. Früher hatten wir auch sehr gute Zeitungen, aber inzwischen ist es nur noch eine Handvoll. Dafür gibt es zahlreiche Onlinemedien, einige davon sind auch sehr professionell.
Wird der öffentliche Rundfunk bei Ihnen von den Steuerzahler:innen finanziert?
Nikodinoska: 2017 gab es einen Regierungswechsel und die Rundfunkgebühr wurde abgeschafft. Nun wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus dem Staatshaushalt finanziert. Allerdings wird das Geld nicht in der Höhe verteilt, die zu Beginn vereinbart wurde. Und das führt zu einem grossen Problem: Unsere Journalist:innen werden nicht gut genug bezahlt. Dazu kommt, dass immer noch politischer Druck auf Journalist:innen ausgeübt wird. Sie werden bedroht, angegriffen oder juristisch verfolgt. Nordmazedonien hatte in den letzten 30 Jahren mehrere politische Krisen und die Rolle der Medien hat sich je nach politischer Situation immer wieder stark verändert. Unter der autoritären Regierung von Nikola Gruevski von 2006 bis 2016 zum Beispiel wurden Journalist:innen oft eingeschüchtert und die Medien von den Machtzentralen stark kontrolliert und abgehört.
In der Schweiz wird immer wieder darüber diskutiert, die Medienabgabe zu senken oder abzuschaffen. Warum lohnt es sich, in öffentliche Medien zu investieren?
Nikodinoska: Medien haben den Auftrag, zu informieren, zu unterhalten und zu bilden. So ist MRT gesetzlich dazu verpflichtet, Medienkompetenzen zu vermitteln und entsprechende Programme zu produzieren, und arbeitet dafür mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen.
Bosshard: Journalismus hat für mich viel mit lokalem Wissen zu tun. In der Schweiz geht das leider immer stärker verloren. Das sieht man schon allein daran, dass sehr wenige Verlage einen Grossteil der Zeitungen herausgeben. Dadurch doppeln sich die Inhalte. Dabei kann gerade der Lokaljournalismus die Leute dazu bewegen, sich zu engagieren und an der gelebten Demokratie teilzuhaben.
Nikodinoska: Ja, lokale Medien geben Orten ausserhalb der Zentren eine Stimme. Ihre Aufgabe ist es, die Probleme kleinerer Gemeinschaften zu identifizieren und zu erforschen und mit ihnen nach Lösungen zu suchen. Nordmazedonien ist im Vergleich zur Schweiz ein Entwicklungsland. Die Bürger:innen müssen lernen, sich aktiv an der Demokratie zu beteiligen. Wir müssen lernen, die Demokratie wertzuschätzen.
Tagung zu Medien und Demokratie im September 2024 im Politforum Bern. Vesna Nikodinoska sprach über «Media Literacy» und die Situation der Medien in Nordmazedonien.
Politforum Bern
Die Wahlbeteiligung ist in der Schweiz eher niedrig. Sind die Medien daran schuld?
Bosshard: Ich denke, sie tragen eine Mitverantwortung. In der Schweiz nehmen viele Menschen die Demokratie als selbstverständlich hin. Gerade jüngere Generationen, zu der ich mich auch zähle, sind sehr verwöhnt: Nicht einmal für das Frauenstimmrecht musste ich schliesslich kämpfen! Die Schweiz ist so stolz auf ihre Demokratie – hat aber einen Riesenmangel an Demokratiebildung.
Nikodinoska: Wirklich? Das finde ich überraschend.
Bosshard: Während Covid wurde deutlich, dass die Demokratie von vielen Menschen oft auf persönliche Rechte reduziert wird. Das Konzept als Ganzes ist nicht mehr präsent im Denken. Viele leben ganz nach dem Motto: «Ich kann sagen, was ich will, das ist Demokratie!» – Dabei vergessen sie, dass beispielsweise Hassreden nicht in die Kategorie der freien Meinungsäusserung fallen. Über die Medien fanden viele solche Inhalte und dieses reduzierte Verständnis von Demokratie Verbreitung.
Nikodinoska: Die Medien müssen sich im Klaren darüber sein, welche Botschaften sie vermitteln, und Verantwortung übernehmen, wenn daraus Hass entsteht. Die Meinungsfreiheit ist nicht grenzenlos.
Bosshard: Ich habe am Anfang gesagt, die Leute haben vergessen, dass die Medien die Vierte Gewalt in unserer Demokratie sind. Ich glaube, auch die Medien haben das teilweise vergessen.
Frau Bosshard, Ihrer Meinung nach steht es also nicht gut um den Schweizer Journalismus?
Bosshard: Der Journalismus in der Schweiz lebt – ist meiner Meinung nach heute in ungesundem Mass zu undifferenziert. In den Medien wird zu oft zu stark polarisiert. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die «Arena» auf SRF. Die «Arena» vermittelt das Bild eines Kampfes. Rechts gegen links, gut gegen böse, falsch gegen richtig. Was im Fernsehen nicht gezeigt wird: Wie die gleichen Politiker:innen nach der Sendung zusammen ein Bier trinken gehen. Das tun sie nämlich sehr oft.
Man könnte argumentieren, dass die Leute zu einem gewissen Teil auch unterhalten sein müssen, um sich eine Politsendung überhaupt anzusehen.
Bosshard: Das Problem ist aber, dass die Leute die «Arena» schauen und das für die Realität halten. Ich kenne sehr viele Menschen, die ihre Meinung davon abhängig machen, wie in der «Arena» diskutiert wird. Was wir brauchen, sind Konzepte, die demokratische Werte respektieren.
Was meinen Sie damit?
Bosshard: Wenn wir von der «Demokratie Stiftung» mit Schulklassen zusammenarbeiten, dann bringen wir ihren zum Beispiel bei, wie man auf eine gute Art und Weise debattiert. Zuhören, aufeinander eingehen, aussprechen lassen, freundlich und sachlich bleiben.
Die Schweiz und Nordmazedonien haben beide mehrere Sprachregionen und vereinen dadurch unterschiedliche Kulturen in sich. Wie stark dürfen Medien in ihrer Berichterstattung von diesen Hintergründen geprägt sein?
Bosshard: Solange transparent ist, wie Medien finanziert sind, wer schreibt und welche Haltung vertreten wird, ist das akzeptabel. Wichtig ist, dass journalistische Standards eingehalten werden.
Nikodinoska: Und diese Standards sind unabhängig von der Art des Mediums, ihrer Plattform oder ihrem Verbreitungsort. Die Aufgabe der Medien ist es, sämtliche Blickwinkel der Gesellschaft zu zeigen. Die Fakten sind dabei heilig, denn sie sind die Grundlage für die Meinungsbildung der Bürger:innen.
Bosshard: Die Leute brauchen vor allem mehr Medienbildung. Wer eine gute Medienkompetenz hat, kann einordnen: Ist dieses Thema eher links? Ist dieser Beitrag gut recherchiert? Gerade in Zeiten des Klickjournalismus ist das enorm wichtig.
An der Tagung zu Medien und Demokratie im September 2024 im Politforum Bern sprach Vesna Nikodinoska über «Media Literacy» und die Situation der Medien in Nordmazedonien.
Politforum Bern
Liegt die Verantwortung hier aber nicht eher bei den Medienschaffenden als bei den Konsument:innen?
Bosshard: In erster Linie, natürlich. Ich sehe immer wieder, dass Titel von Artikeln inhaltlich komplett falsch sind. Dabei sind die Texte selbst oft sehr gut recherchiert. Aber wenn die Leser:innen im Umgang mit Medien gut gebildet sind, richtet auch ein falscher, reisserischer Titel weniger Schaden an.
Nikodinoska: Die Leute müssen professionellen Journalismus erkennen können, um zwischen Desinformation und Fakten unterscheiden zu können. Das wiederum stärkt auch das Vertrauen in die Medien. Die Medien müssen die Beziehung zu ihrem Publikum stärken. Sie müssen gerade auch junge Menschen mitdenken, die statistisch weniger häufig abstimmen oder wählen. Das heisst, die Medien müssen dorthin gehen, wo das junge Publikum bereits ist. Das sind nun mal nicht Zeitungen, vielleicht nicht einmal mehr Fernsehen, geschweige denn Radio – sondern vor allem digitale Plattformen.
Bosshard: Ja. Wir brauchen eine junge, mediengebildete Generation, die um den Wert des Journalismus weiss. Wir brauchen sowohl qualifizierte Leser:innen wie auch qualifizierte Journalist:innen.
Noemi Harnickell, November 2024
Stefanie Bosshard war von Januar 2022 bis Mai 2025 Geschäftsführerin der Schweizer Demokratie Stiftung. Zuvor war sie Geschäftsleiterin des Dachverbands Schweizer Jugendparlamente, dem politisch unabhängigen Kompetenzzentrum für politische Bildung und politische Partizipation für Jugendliche und junge Erwachsene. Zudem war die Bildungswissenschafterin unter anderem für das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung in der Bildungspolitik tätig.
Inhaltliche Schwerpunkte ihrer beruflichen und ehrenamtlichen Engagements sind Zusammenhänge zwischen Bildung, Partizipation und Demokratie, die Nachwuchsförderung für die direkte Demokratie, die Förderung der demokratischen Diskussionskultur und die Schaffung von Plattformen für innovative Ideen in der Politik. Seit Juni 2025 ist sie Senior Projektleiterin bei Ecoplan.
Vesna Nikodinoska hat als Journalistin und NGO-Projektmanagerin 15 Jahre Erfahrung im Medienbereich. Sie konzentriert sich auf die Verwaltung von Projekten sowie auf die Publikations- und Forschungsaktivitäten von MIM, dem Mazedonischen Institut für Medien. Nikodinoska ist Herausgeberin und Mitherausgeberin verschiedener Publikationen im Bereich Medien und Kommunikation sowie Trainerin für Medienkompetenz. Sie hat einen Abschluss in Journalismus an der juristischen Fakultät in Skopje und ein MA-Diplom in globaler Kommunikation an der Amerikanischen Universität in Paris erworben.