Wetterprognosen retten Leben: Die Kunst der Vorhersage

Von wegen harmloses Gesprächsthema: Wettervorhersagen wie die von SRF Meteo sind längst systemrelevant. Sie geben der Gesellschaft die Möglichkeit, sich auf extreme Wetterereignisse vorzubereiten und gefährliche Folgen zu minimieren.

«Es sind schonmal Gewitter unterwegs», sagte Jürg Ackermann neulich und klang dabei so zuversichtlich, als handelte es sich bei der Information um eine frohe Botschaft. «Der Vormittag», fuhr der SRF-Meteorologe munter fort, «der ist vor allem auf der Alpennordseite von der wechselhaften Seite. Das heisst, neben sonnigen Phasen ziehen an vielen Orten Regengüsse, vielleicht sogar Blitz und Donner, vorbei!»

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SRF-Meteorologe Jürg Ackermann bei der Arbeit.

Seit siebzehn Jahren bin ich in einer Langzeitbeziehung . Mit SRF Meteo. Jeden Morgen um kurz vor acht weckt mich die aufgestellte Radiostimme eines Wettermannes oder einer Wetterfrau. Es gibt mir ein Gefühl von Sicherheit, zu wissen, wie der Tag aussehen wird. Vieles kann man ja im Alltag nicht planen – auch nicht den Sonnenschein. Aber immerhin kann ich vorsorglich den Regenschirm einpacken.

Dass mich der Wetterdienst der SRG am Morgen in eine gute Laune versetzt, ist bloss ein schöner Nebeneffekt eines weitaus umfassenderen Diensts an der Öffentlichkeit. Denn eine zuverlässige Wettervorhersage erleichtert die Planung in der Landwirtschaft, im Verkehr und im Tourismus. Nicht zuletzt fördert das Aufzeigen wiederkehrender Wetterereignisse das gesellschaftliche Umweltbewusstsein. Aber was steckt hinter dem Wetterbericht? Wie wird er erstellt? Und vor allem: Wie profitieren wir von ihm?

Rund 700’000 Meteo-Zuschauer:innen jeden Abend.
Von der Post aufs Meteo-Dach

Der erste staatliche Wetterbericht wurde 1881 verschickt – und zwar mit der Post. Nur etwa 50 Abonnent:innen erreichte die A3-Seite – einige von ihnen leider erst, nachdem das prognostizierte Wetterereignis bereits eingetreten war.

Heute schauen rund 700’000 Zuschauer:innen jeden Abend den SRF-Wetterbericht im Fernsehen, wenn vom «Meteo-Dach» in Zürich gesendet wird. Seit 1992 wird die Sendung ausserhalb der Tagesschau als eigenständiges Format ausgestrahlt, seit 1995 hat sie ihre eigene Redaktionsabteilung bei der SRG. 15 Mitarbeitende produzieren die Wetterprognosen für alle SRF-Radiosender und Regionaljournale sowie für die SRF-Meteo-App und die Kanäle der sozialen Netzwerke

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Mit einer guten Wetterprognose kann man Leben retten.»
Reto Knutti, Klimawissenschaftler ETH Zürich

«Der Wetterbericht hat ökonomisch und gesellschaftlich einen ungeheuren Wert», sagt der Klimawissenschaftler Reto Knutti von der ETH Zürich. «Mit einer guten Wetterprognose kann man besser Entscheidungen treffen, kann besser planen – und man kann Leben retten.»

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Reto Knutti ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich und
forscht an der Entwicklung von Klimamodellen.

Supercomputer erstellt Prognosen

Um eine verlässliche Wetterprognose zu erstellen, arbeiten die Meteorolog:innen der SRG eng mit Meteo Swiss, dem Bundesamt für Meteorologie, und anderen Datenzentren zusammen. Fünf Radare von Meteo Swiss stehen in der ganzen Schweiz verteilt und erfassen Niederschlag, Wolken und Windmuster, indem sie elektromagnetische Wellen aussenden und die Reflektionen messen. Dazu kommen über die Schweiz verteilte Wetterstationen, die Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck sowie Windgeschwindigkeit und -richtung messen. Diese Daten werden in Echtzeit an einen Supercomputer in Lugano gesendet und in Computermodelle eingespeist.

Diese Modelle verwenden komplexe mathematische Gleichungen, um das Verhalten der Atmosphäre zu simulieren und das zukünftige Wetter zu prognostizieren. Meteo Swiss stellt die Prognosen frei zur Verfügung; aus den Daten erstellt die SRG ihre Wetterkarten und -berichte.

Das Wetter verbindet

Jürg Ackermann arbeitet seit 2019 in der Meteo-Redaktion. Davor hat er einen Master in Atmosphärenwissenschaften gemacht. Ein naturwissenschaftlicher Studienabschluss ist eine der Anstellungsvoraussetzungen von SRF Meteo. «Mich hat das Wetter schon als Kind fasziniert», erinnert sich Ackermann. «Wenn es gewittert hat, standen wir als Familie auf dem Balkon und haben jeden Blitz genau beobachtet und uns gefreut, wenn es laut gedonnert hat.»

Das Wetter ist eines der wenigen Themen, die alle Menschen beschäftigen und das Radio eines der schnellsten Medien, um Informationen zu verbreiten. Ackermann erinnert sich, er habe schon vor Glättegefahren auf Strassen gewarnt, als wenige Minuten später bereits die ersten Unfallbenachrichtigungen reinkamen.

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Wetterprognosen sind sehr systemrelevant geworden und haben dadurch hohe Qualitätsanforderungen.»
Reto Knutti, Klimawissenschaftler ETH Zürich

Ackermann und seine Kolleg:innen besprechen die unterschiedlichsten Lösungen der globalen und lokalen Wettermodelle im Team und einigen sich auf eine Prognose, die über die verschiedensten Kanäle von SRF Meteo kommuniziert wird.

«Wetterprognosen sind sehr systemrelevant geworden und haben dadurch hohe Qualitätsanforderungen», sagt Reto Knutti. «Der Wetterbericht muss funktionieren – selbst bei Erdbeben, bei Strommangellagen oder einem Raketenangriff.»

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Das kommt dem Datenverbrauch von 330 Privatcomputern gleich.»
Reto Knutti, Klimawissenschaftler ETH Zürich

Eine einzelne Organisation könnte den Aufwand gar nicht stemmen, den Meteo Swiss betreibt, um die vielen Messdaten zu erfassen. Allein die Instandhaltung der Messstationen kostet viele Millionen Franken im Jahr, wenn diese beispielsweise durch Hagel oder Stürme beschädigt oder gar zerstört werden. «Dazu kommt die Rechnerei», sagt Knutti. «Das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage hat eine Speicherkapazität von 330 Terabyte Daten. Das kommt dem Datenverbrauch von 330 Privatcomputern gleich.»

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Eine effiziente, gute Wetterprognose hat einen sehr hohen gesellschaftlichen Wert.»
Martin Heggli, Medienverantwortlicher am SLF
Von der Wissenschaft zu den Leuten

Eine präzise Wetterprognose hat mehr zur Folge als nur das vorsorgliche Einpacken eines Regenschirms. Im Extremfall kann sie Leben retten. «Obwohl die Bevölkerung in der Schweiz um ein Vielfaches gewachsen ist, ist die Anzahl der Schadensfälle durch Unwetter und Naturkatastrophen in den letzten Jahrzehnten sehr konstant geblieben», sagt Martin Heggli, Medienverantwortlicher am Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos. Das liegt unter anderem an gut organisierten Krisenstäben, fängt aber beim Wetterbericht an. «Eine effiziente, gute Wetterprognose hat einen sehr hohen gesellschaftlichen Wert», betont Heggli. «Oft ist uns gar nicht bewusst, dass dies überhaupt nicht selbstverständlich ist. Die Tatsache zum Beispiel, dass man eine Woche im Voraus vor tropischen Wirbelstürmen in den USA warnen und die Menschen evakuieren kann.»

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Die SRG ist ein wichtiger Kanal, damit unsere Informationen den Weg zu den Leuten finden.»
Martin Heggli, Medienverantwortlicher am SLF

Das SLF erstellt eigene Neuschneeprognosen und schätzt den Aufbau der Schneedecke in verschiedenen Hangausrichtungen ab, um daraus das Lawinenbulletin zu erstellen. Dieses wird unter anderem nach dem Wetterbericht am Nachmittag im Radio SRF1 ausgestrahlt. «Die SRG ist ein wichtiger Kanal, damit unsere Informationen den Weg zu den Leuten finden», sagt Heggli.

«Single Official Voice»

Führt das Wetter zu Krisensituationen, gilt in der Schweiz die «Single-Official-Voice»-Regel. Ab Gefahrenstufe 4 gibt der Bund eine offizielle Warnung heraus, die in allen privaten und öffentlichen Medien zwingend in genau diesem Wortlaut veröffentlicht werden muss.

Zum Vergleich: Deutschland hat kein solches Warnsystem, ebenso wenig ein flächendeckendes Netz an Sirenen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden gar viele Sirenen abgeschafft. Als 2021 das Hochwasser in Ahrtal über Hundert Menschen in den Tod riss, lag das nicht an einer schlechten Wettervorhersage. «Die Behörden in Deutschland haben keinen Ablauf, mit dem man die Bevölkerung vor einer Katastrophe dieses Ausmasses warnen könnte», sagt Reto Knutti. «Doch diese Kommunikation zwischen den Instanzen und gegenüber der Bevölkerung ist, was die Menschen am Ende schützt.»

Vom Smalltalk zur Klimapolitik

«Die Temperaturen sind tatsächlich eher Ende September als Mitte Juli. Wir haben Höchstwerte um 18 Grad im Norden, 22 Grad gibt es auf der Alpensüdseite. Und wir sind eingeklemmt zwischen zwei Störungen. Die eine, die in der Zentralschweiz noch ein paar Regentropfen bringt, die zieht jetzt mehr und mehr davon. Aber von Westen kommt schon die nächste Störung daher, die dann im Laufe des Nachmittags vor allem auf der Alpennordseite verbreitet Regengüsse bringt. Dazu frischt auch noch ein mässiger Westwind auf.»

Jürg Ackermanns Stimme klingt zuversichtlich, so wie man es sich von den Meteo-Moderator:innen gewohnt ist. Aber in den Wetterberichten schwingt je länger, desto mehr eine düstere Botschaft mit: Das Wetter ist im Chaos, der Klimawandel ist echt.

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Das Wetter zeigt die konkreten Folgen des Klimawandels.»
Reto Knutti, Klimawissenschaftler ETH Zürich

War das Wetter lange Zeit ein harmloses, unverfängliches Gesprächsthema, ist es in jüngster Zeit verstärkt politisiert worden. Reden wir etwa über heisse Sommer, reden wir zugleich auch über die Klimaerhitzung, über Dürre in anderen Weltregionen und über unsere eigene Verantwortung. Diese Entwicklung zeigt sich auch bei den Wetterberichten. So haben laut Klimawissenschaftler Reto Knutti viele Wetterdienste damit angefangen, den Kontext des Klimawandels in ihre Prognosen einzubauen. «Das Wetter ist eine Möglichkeit, den Leuten bildhaft zu zeigen, was die konkreten Folgen des Klimawandels sind.»

Im Sommer 2023 äusserte die Weltwoche die Vermutung, dass SRF Meteo den Wetterbericht absichtlich verfälsche, um zusätzliche Klimapanik zu schüren. «Dabei haben wir es gar nicht nötig, mit gefälschten Extremwerten auf den Klimawandel aufmerksam zu machen», meint Ackermann. «Klima und Wetter treiben die Werte ganz allein in die Höhe!»

Kritik an der neuen Meteo-App

Die hohen Messwerte sind nicht das Einzige, was SRF Meteo in jüngster Zeit Kritik beschert hat. Auch das Redesign der Meteo-App im März 2024 brachte negatives Feedback mit sich. Bemängelt wurde vor allem die kontrastarme Darstellung der weissen Schweiz-Karten mit weissen Wolken. Vor allem Menschen mit einer Seheinschränkung hatten Mühe, Details zu erkennen.

Einer der Gründe für die Umstellung war die geringere Auflösung und der begrenzte Detaillierungsgrad der alten, grünen Karten, wie Meteo-Leiter Thomas Bucheli erklärt. «Mit einem feineren und farblich neutraleren Kartenset konnten diese Limitationen überwunden werden.»

Er könne die Kritik gut nachvollziehen, sagt sein Teamkollege Jürg Ackermann. Aber: Kritik gebe es immer, wenn optisch etwas geändert wird. «Wir haben einen sehr dynamischen Umgang mit Feedback», sagt er. «Es wird ernstgenommen, führt zu Diskussionen und Anpassungen.» So wurden die Schweiz-Karten kürzlich wieder auf einen grünen Hintergrund umgestellt.

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Man kann sich das Wetter viel besser merken, wenn auch Gefühle vermittelt werden.»
Jürg Ackermann, SRF-Meteorologe
Ein Platz neben Petrus

Dass ein Medienhaus viel Geld in einen Wetterdienst investiert, ist schon lange nicht mehr selbstverständlich. Die Menschen haben oft mehrere Wetter-Apps auf ihren Handys – braucht’s da überhaupt noch eine Einordnung von Meteorolog:innen in den Medien?

«Ein Wetterbericht, der von einem Menschen präsentiert wird, ist nahbarer», sagt Ackermann. «Wenn ich sage: ‹Heute Abend gibt’s starken Wind von Westen, da werde ich auf dem Velo ganz schön strampeln müssen!› – dann schafft das für alle Leute, die ebenfalls mit dem Fahrrad nach Hause radeln müssen, eine Identifikation. Man kann sich das Wetter viel besser merken, wenn auch Gefühle vermittelt werden.»

Und manchmal, meint Ackermann, da sei er für die Leute ausserhalb des Studios ein bisschen wie eine gute Fee, bei der man sich das sonnige Wetter wünschen kann. «Wenn die Leute erfahren, dass ich bei Meteo arbeite, sagen sie manchmal: ‹Du hast doch den besten Platz neben Petrus, du kannst dir sicher was wünschen!›»

Und, klappt das? Ackermann schmunzelt. «Etwa einmal im Jahr!»

Es ist klar, dass das Wetter nicht mehr einfach nur ein Gesprächsthema ist, sondern ein Spiegel unserer sich verändernden Welt. «Die Natur hat grundsätzlich das letzte Wort», sagt Jürg Ackermann. «Das zeigt uns die ungeheure Gewalt, die bei Gewittern oder Stürmen freigesetzt werden kann.» Jedes Wetterphänomen ist eine Erinnerung daran, dass Veränderung die einzige Konstante ist. Wir können nur den Schirm einpacken.

 

Noemi Harnickell, April 2024

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