«Für die lokale Meinungsvielfalt ist das Regionaljournal enorm wichtig»
Das Regionaljournal von SRF berichtet in der Deutschschweiz seit mehr als 45 Jahren über Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur – aus der Region und für die Region. Wir haben fünf Personen aus Politik, Kultur, Wissenschaft, Journalismus und Tourismus gefragt, was das Regionaljournal für sie, ihre Region und ihre Arbeit bedeutet.
Die Schweiz ist ein Land, das sich wie kaum ein anderes über seine Regionalität definiert. Die Dialekte, Bräuche und Traditionen unterscheiden sich von einem Ort zum nächsten. Und mit ihnen auch die Nachrichtenrelevanz: Was auf nationaler Ebene entschieden wird, wirkt sich in den einzelnen Regionen unterschiedlich aus. Entscheide auf kantonaler und kommunaler Ebene hingegen sind für die meisten Menschen von unmittelbarer Bedeutung. Über genau solche Entscheide – und vieles weitere in einer Region – berichten die Regionaljournale von SRF seit über 45 Jahren. Sie sind an sieben Standorten in der Deutschschweiz präsent: Bern, Zürich, St. Gallen, Luzern, Basel, Aarau und Chur. Die Redaktionen sind bei Parlamentssitzungen dabei, berichten über Kultur, Wirtschaft und Gesellschaftsthemen in ihrer Region, brechen internationale und nationale Themen auf ihre lokale Bedeutung herunter und senden täglich über alle Sendeplätze hinweg fast eine Stunde lang.
Für diese Art von Lokaljournalismus fehlen vielen privaten Medienhäusern zunehmend die Ressourcen. Das Regionaljournal hat sich zum Ziel gesetzt, diese Lücke zu schliessen – oder zumindest zu überbrücken. Doch wie nehmen Akteur:innen aus Politik, Kultur, Wissenschaft, Journalismus und Tourismus einer Region das Regionaljournal wahr? Wie schätzen sie dessen Bedeutung ein? Wir haben fünf von ihnen gefragt:
Thomas Christen, Tourismusdirektor Ferienregion Andermatt
«Am häufigsten berichtet das Regionaljournal über uns, wenn wir Events veranstalten oder einen Preis erhalten. Langlaufrennen in Realp oder Rad- und Musikveranstaltungen in Andermatt sind zum Beispiel sehr beliebt. Ich stelle immer wieder fest, dass viele Leute die Nachrichten immer noch sehr stark über das Gehör wahrnehmen. Dadurch, dass wir immer wieder erwähnt werden, bleiben wir auf dem Radar von Radiohörer:innen. Als es vor zwei Jahren starken Schneemangel gab, erklärten wir im Regionaljournal, wie wir die Strassen mit nur zehn Zentimeter Schnee bearbeiteten. Das fanden viele Leute spannend.

Thomas Christen, Tourismusdirektor Ferienregion Andermatt
Eine Tourismus-GmbH funktioniert im Grunde gleich wie ein Dorfverein: Ist sie im Dorf nicht anerkannt, kann sie schliessen. Darum bin ich sehr froh, wenn in den Medien über uns gesprochen wird. Oft kriege ich sogar noch Wochen nach einem Beitrag im Regionaljournal Feedback von Leuten aus der ganzen Zentralschweiz. Fände diese Öffentlichkeit durch SRF und andere nicht mehr statt, müssten wir selbst aktiv werden – vor allem auf Social Media.
Damit die lokale Presse über uns berichtet, müssen wir sie inzwischen oft richtig flattieren oder sogar die Artikel selber schreiben. Es gibt immer weniger Entgegenkommen von Reporter:innen. Mich besorgt das. Wenn das so weitergeht, werden wir bald keine Zeitungen mehr abonnieren können – zumindest keine mit Relevanz und Inhalt. Mir scheint, dass die Meinung der Schreibenden oder der Redaktionen häufig wichtiger gewertet werden als die neutrale Informationspflicht. Da wundere ich mich manchmal, ob das politisch motiviert ist. Beim Regionaljournal ist das noch anders. Das Regionaljournal füllt eine wichtige Lücke. Was es liefert, ist verlässlich, aktuell und authentisch. Die machen keinen Thesen-Journalismus. Die Redaktion hat einen grossen Qualitätsanspruch und ich habe noch nie etwas Schlechtes erlebt.
Für die lokale Meinungsvielfalt ist das Regionaljournal enorm wichtig. Gäbe es das Format nicht mehr, wäre das ein grosser Verlust. Denn in einer Demokratie muss eine Vielzahl von Meinungen sichtbar sein, eine Demokratie muss verschiedene Meinungen aushalten.»
Kirsten Barkey, ehemalige Leiterin Kommunikation und Marketing Luzerner Theater
«Für das Luzerner Theater spielt es eine nicht unwichtige Rolle, ob und wie über Produktionen berichtet wird. Mein Eindruck ist zum Beispiel, dass ein Teil unseres Publikums gerne erst die Medienberichterstattung abwartet, bevor es sich für oder gegen einen Theaterbesuch entscheidet, und dass gute Kritiken einen regelrechten Run auf die Tickets auslösen können. Indem seine Vertreter:innen an viele unserer Premieren kommen, hilft das Regionaljournal ganz generell dabei, die Kulturberichterstattung lebendig und aktuell zu halten.

Kirsten Barkey, ehemalige Leiterin Kommunikation und Marketing Luzerner Theater
Ich bin fest davon überzeugt, dass die Kulturberichterstattung im Allgemeinen eine wichtige Aufgabe in der Gesellschaft erfüllt. Sie rückt die Kultur in den Fokus. Und Kultur erzählt von dem, was uns gesellschaftlich zusammenhält, was uns verbindet, und reflektiert dies. Sie schafft Gemeinschaft, Identität und die Möglichkeit zum Perspektivwechsel. Anders als ein Algorithmus, der uns stetig mit dem füttert, was wir schon kennen, fordert sie uns immer wieder neu heraus und ist auch mal unbequem. Aber dieser Wert wird durch die höhere Gewichtung von ökonomischen und politischen Interessen zunehmend in den Hintergrund gedrängt.
Die grosse Kraft des Theaters liegt für mich im Live-Moment. Hier kommen Menschen zusammen und erleben gemeinsam etwas Einmaliges, denn jeder Theaterabend ist anders. So schafft Theater einen Austausch, reflektiert Themen unserer Gesellschaft und erzählt Geschichten, die für uns aktuell und relevant sind. In allen Kulturformen – egal ob Musik, Literatur, Visuelle Kunst, Film, Tanz oder Theater – setzen wir uns mit uns selbst und unserer Umwelt auseinander. Und die Medien tun dies auf ihre Weise ebenfalls. So wie Kultur gesellschaftliche Diskurse aufnimmt, kann die Kulturberichterstattung künstlerische Diskurse aufgreifen, weiterführen und verbreiten.»
Christian Liechti, Leiter Regionalredaktion Bern Freiburg Wallis
«Das ‹Regionaljournal Bern Freiburg Wallis› deckt als einzige Regionalredaktion drei zweisprachige Kantone ab. Wir müssen mit unserer Berichterstattung eine Klammer schaffen, die sowohl den Berner Jura wie auch das Berner Oberland in sich vereint. Und die Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen sind riesig.

Christian Liechti, Leiter Regionalredaktion Bern Freiburg Wallis
Wir müssen in allen Themen aufgreifen, die über die Gemeinde und die Region hinausstrahlen: Lokale Ereignisse müssen also einen exemplarischen Charakter haben. Etwas, das zum Beispiel fürs Seeland interessant ist, muss auch für unser Publikum im Berner Oberland relevant sein.
Der Journalismus ist die Vierte Gewalt in unserem demokratischen System. Eine gut funktionierende Demokratie lebt davon, dass sie gespiegelt und kritisch begleitet wird. Fällt dies weg, hat das auch einen Einfluss auf die demokratische Beteiligung der Bürger:innen. Vielen Zeitungsverlagen fehlen leider zunehmend die Werbeeinahmen. Ganze Ressorts werden in der Folge zusammengelegt, es gibt weniger Inputs aus den verschiedenen Regionen. Interessantes wird oft vor Relevantes gestellt, Themen werden seichter. In Zeiten, in denen die Zahl lokaler Medien stark abnimmt, füllt das Regionaljournal eine wichtige Lücke.
Zu den Kernaufträgen des Regionaljournals gehört die Berichterstattung über Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Sport. Dabei konzentrieren wir uns konsequent auf das Regionale. Wir sind in der Lage, wichtige Lücken so weit wie möglich zu füllen. Etwas, das mir Sorge bereitet, ist die kantonale Ebene. Die Berichterstattung vieler Medien fokussiert sich auf die nationale Politik, da fallen kantonale Themen oft zwischen Stuhl und Bank. Das liegt daran, dass die Gemeindeebene die Menschen viel direkter betrifft. Wenn etwa die Müllabfuhr nicht richtig funktioniert, ärgern sich die Leute und reagieren, um schnell eine Lösung zu finden. Und auf nationaler Ebene indes interessieren die ganz grossen Themen: Migration, Sicherheit, Klimaschutz.
Wir versuchen in unserer Berichterstattung immer auch Lösungsansätze aufzuzeigen und den Menschen bewusst zu machen, dass die Probleme an verschiedenen Orten die gleichen sind. Ich sehe es als unsere Kernaufgabe an, zu einem besseren Verständnis zwischen den Regionen beizutragen. Das Regionaljournal baut Brücken zwischen der städtischen und der ländlichen Bevölkerung und zwischen politischen Lagern. Dieses Verständnis schaffen wir unter anderem durch die Nähe, die wir zu unserem Publikum haben. Wir sind täglich draussen bei den Hörer:innen und User:innen unserer verschiedenen Kanäle. Wir berichten über unser unmittelbares Umfeld, wir sind ein Teil der Gesellschaft.»
Simon Roth, Präsident Grossstadtrat Luzern
«Ich vertrete die SP im Grossen Stadtrat in Luzern, von dem ich seit September 2024 auch Präsident bin. Meine Arbeit wird von den Medien wahrgenommen und manchmal auch kritisch bewertet. Aber als Politiker, finde ich, muss man damit leben können.
In der Stadt Luzern ist die mediale Abdeckung dank Publikationen wie der ‹Luzerner Zeitung› und ‹ZentralPlus› grundsätzlich sehr gut. Aber bereits andere grosse Gemeinden wie die Stadt Kriens oder Emmen mit jeweils über 30‘000 Einwohner:innen müssen viel stärker um Aufmerksamkeit ringen. Die Stadt muss um Berichterstattung ringen. Man kann sich also vorstellen, wie es in kleineren Gemeinden erst aussieht. Dabei haben die ja auch alle ein eigenes Parlament.

Simon Roth, Präsident Grossstadtrat Luzern
Das ‹Regionaljournal Zentralschweiz› hat eine wichtige Aufgabe. Die Redaktion muss dem Anspruch gerecht werden, die gesamte Region fair abzudecken, um der lokalen und regionalen Ebene die notwendige Sichtbarkeit zu verleihen. In den Grossstadtratssitzungen ist das Regionaljournal immer dabei. Ich finde das wichtig, denn wenn wir über lokale und regionale Belange diskutieren, sollen das die Menschen auch mitbekommen. Dank dem Regionaljournal nehmen die Leute diese Diskussionen nicht nur wahr, sondern erhalten auch die Möglichkeit, sich selbst eine Meinung zu bilden und Teil der Debatte zu werden.
Leider erreichen klassische Medien wie Zeitungen und Radio ein immer kleineres Publikum. Den Menschen fehlen darum wichtige Informationen für die Meinungsbildung. Aber ohne Meinungsbildung ist auch der politische Diskurs bedroht. Dabei sind gerade lokale Themen ein guter Zugang zu Politik, weil sie die Leute direkt betreffen und so auch fassbarer sind. Das Regionaljournal setzt sie in einen Kontet.»
Jolanda Burger, Kommunikationswissenschaftlerin
«Im Frühjahr 2024 gab es einen Fall, da beschloss eine Walliser Gemeinde, vorübergehend nicht mehr mit dem ‹Walliser Boten› zu sprechen. Dabei ist es wichtig, dass sie das tun, denn die Medien sind der Watchdog der Demokratie. Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, zu erfahren, was passiert.
In den letzten Jahren war ich an einer Studie der Fachhochschule Graubünden beteiligt, die eine Bestandsaufnahme des Lokaljournalismus und der Gemeindekommunikation machte. Daraus entstand eine Liste aller Lokalmedien, von Webseiten über Print bis hin zu Radio und Fernsehen. Diese Liste wird immer wieder aktualisiert und macht so erkennbar, was neu gegründet wird und welche Redaktionen geschlossen werden. Gerade bei Printzeitungen ist ein deutlicher Rückgang erkennbar, der auch mit Onlineangeboten leider nicht komplett kompensiert werden kann.

Jolanda Burger, Kommunikationswissenschaftlerin
Besonders gravierend waren die Ergebnisse einer Befragung, die wir sowohl bei den Medien wie auch in verschiedenen Gemeinden durchführten. Eine der Fragen lautete: Wie wichtig sind Lokalmedien? Die Diskrepanz zwischen den Antworten ist enorm. Die Medien schätzen sich selbst als wichtiger ein als die Gemeinden es tun. Viele Gemeinden finden, dass sie die Kommunikation selbst in die Hand nehmen können. Natürlich haben Gemeinden einen Kommunikationsauftrag, aber diese Haltung kann dazu führen, dass Gemeindevertreter:innen kritischen Fragen einfach ausweichen und den Medien keine Auskunft mehr geben. Leider fühlen sich viele Gemeinden von den Lokalmedien nicht richtig repräsentiert und halten deren journalistische Qualität für unzufriedenstellend. Damit haben sie oft nicht unrecht, denn viele Lokalmedien haben mit Ressourcenmangel zu kämpfen. Das ist der Vorteil des Regionaljournals: Die Redaktion hat die nötigen Ressourcen, um auch Themen zu behandeln, von denen man weiss, dass die Klickzahlen nicht durch die Decke gehen werden.
In Regionen, die nicht mehr von den Regionalmedien abgedeckt werden, kommt den Menschen oft das Zugehörigkeitsgefühl abhanden. In Ländern wie den USA entstehen dadurch sogenannte «News Deserts». Davon ist die Schweiz allerdings noch ein gutes Stück entfernt – dennoch gibt es auch hier Regionen, die medial sehr schwach vertreten sind. Dort muss man sich durch Gemeindeseiten wühlen, um an Informationen zu kommen.
Das Regionaljournal kann absolut helfen, dem entgegenzuwirken. Es führt vor kantonalen Abstimmungen beispielsweise Gespräche mit den Kandidat:innen und bietet seinen Hörer:innen so ein gut abgestütztes Informationsportfolio. Die Redaktion hat die wichtigeren politischen Bewegungen auf dem Schirm und ein gutes Gefühl dafür, wann es Sinn macht, zu berichten.
Regionaljournalismus versucht, die Leute zu erreichen mit Themen und Problematiken, mit denen sie sich identifizieren können. Regional- und Lokaljournalismus bricht globale Fragen herunter: Was bedeutet das jetzt für meine Umgebung? Das weckt das Interesse am globalen Problem – und wichtiger noch, das Umgekehrte: Das Regionaljournal macht die grosse Weltpolitik nahbar.»
Aufgezeichnet von Noemi Harnickell, Mai 2025