«Die Schweizer Perspektive ist absolut notwendig»

Die Wahlen in den USA waren das Grossereignis des Jahres. Auslandskorrespondent:innen ordnen Ereignisse wie dieses jeweils für das Schweizer Publikum ein. Weshalb das wichtig ist, erklären Medienwissenschaftler Guido Keel und Jordan Davis, RTS-Korrespondent in den USA.

Wer wissen will, was irgendwo auf der Welt läuft, findet heute im Internet rasch Informationen, Videobeiträge und Artikel aus Lokalzeitungen. Das stellt immer wieder in Frage, ob es noch Auslandskorrespondent:innen braucht – zumal viele Medien auch unter Spardruck stehen. Was bei der Frage oft vergessen geht: Die Arbeit von Auslandskorrespondent:innen ist gerade auch angesichts von Globalisierung und zunehmender Desinformation wichtiger denn je. Denn nur Korrespondent:innen sind in der Lage, Informationen gezielt für das Schweizer Publikum einzuordnen und aufzubereiten.

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Man muss mit Amerikaner:innen sprechen, um zu verstehen, wie sie sich informieren.»
Jordan Davis, USA-Korrespondent für RTS
Qualität und Nuancen

Jordan Davis ist seit 2021 Korrespondent für RTS in den USA. Er reiche nicht aus, die «New York Times» oder die «Washington Post» zu lesen, um die amerikanische Gesellschaft zu verstehen, sagt er. Denn Medien wie diese richten sich an das US-amerikanische Publikum und lassen Informationen ausser Acht, die Schweizer Medienkonsument:innen benötigen, um bestimmte Themen wirklich zu verstehen. Besonders in Wahlkampfzeiten sei es zum Beispiel wichtig, das Informationsumfeld zu kennen, in dem US-Amerikaner:innen lebten: «Man muss mit Amerikaner:innen sprechen, um zu verstehen, wie sie sich informieren. Und leider ist es so, dass sie sich auf beiden Seiten des politischen Spektrums immer seltener durch verifizierte Quellen informieren, also durch die seriöse Arbeit von Journalisten», sagt Jordan Davis.

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Korrespondent:innen haben mehr Möglichkeiten, über die gängige Spaltung der zwei Lager hinaus zu gehen.»
Guido Keel, ZHAW-Professor

Korrespondent:innen haben einen privilegierten Zugang zur Bevölkerung, zu den Wähler:innen. Denn sie werden oft als politisch neutraler wahrgenommen als Journalist:innen aus dem eigenen Land – gerade in den USA, wo viele Journalist:innen als politisch befangen gelten. So könnten Korrespondent:innen helfen, besser zu differenzieren, betont auch Medienwissenschaftler Guido Keel vom Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW: «Korrespondent:innen haben mehr Möglichkeiten, über die gängige Spaltung der zwei Lager hinaus zu gehen. Sie stellen auch oft fest, dass die Spaltungen weniger stark sind, als man sich das von aussen vorstellt.»

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Guido Keel, Professor am Institut für Angewandte Medienwissenschaft
der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
Bild: ZHAW

Sowohl für Wahlberichterstattungen als auch für Berichte über gesellschaftliche Themen gilt: Es ist wichtig, dass sich diese mit der Alltagsrealität der Bevölkerung im jeweiligen Land auseinandersetzt. Sonst besteht die Gefahr, dass Medienkonsument:innen in Stereotypisierung verfallen und Nuancen nicht wahrnehmen. RTS-Korrespondent Jordan Davis nennt die Inflation in den USA als Beispiel. Diese ist den Statistiken zufolge rückläufig. Viele Indikatoren vor Ort vermitteln aber einen gegenteiligen Eindruck. «Zum Beispiel hat der Druck zugenommen, Trinkgeld zu geben. Das ist ein Faktor, der nicht in die Statistik eingeht, aber das Leben der Amerikaner:innen verteuert». Nur ein Journalist vor Ort könne solche Faktoren wahrnehmen, dadurch die Gesellschaft wirklich verstehen und für Medienkonsument:innen erklären.

Durch die besondere Brille

Ebenfalls haben Korrespondent:innen einen besonderen Blick auf Themen: Die Schweizer Perspektive, die sie bieten, sei «absolut notwendig», sagt ZHAW-Professor Guido Keel. Denn bei der Berichterstattung über das Weltgeschehen müssen die Schweizer Besonderheiten beachtet werden, beispielsweise unsere vielen international ausgerichteten Unternehmen im Banken- oder Pharmasektor. Faktoren, die zum Beispiel französische oder deutsche Medienschaffende nicht im Kopf hätten. «Zudem haben Schweizer Korrespondent:innen Erfahrung mit Multikulturalität und Mehrsprachigkeit. Dadurch sehen sie die Herausforderungen des Landes, über das sie berichten, durch diese besondere kulturelle Brille», sagt Guido Keel weiter.

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Ich stelle mir vor, mit Freunden bei einem Abendessen in der Schweiz zu sein. Und versuche Fragen vorwegzunehmen zu Entwicklungen oder Ereignissen, die sie nicht verstehen.»
Jordan Davis, USA-Korrespondent für RTS

Diese Sensibilität spiegelt sich auch in der Themenwahl wider. Korrespondent:innen kennen ihr Publikum genau. Jordan Davis, der sich über grosse redaktionelle Freiheiten freut, vertraut bei der Themenwahl auf einen sehr subjektiven Gradmesser: «Ich stelle mir vor, mit Freunden bei einem Abendessen in der Schweiz zu sein. Und versuche Fragen vorwegzunehmen zu Entwicklungen oder Ereignissen, die sie nicht verstehen», erklärt er. Das Schweizer Publikum sei neugierig und weltoffen, es kenne die USA gut. «Das Publikum hat ein Grundwissen, ich muss nicht erwähnen, dass die Amerikaner zum Beispiel Waffen besitzen. Und die Schweiz ist ein föderalistisches Land und bietet wie die USA die Briefwahl an», sagt Jordan Davis. «Das sind alles Fakten, die ich nicht erklären muss. Würde ich mich an ein französisches Publikum wenden, wäre das nicht der Fall.»

Was dort passiert, wirkt sich auch hier aus
Die USA haben durch die Wahlen in den letzten Wochen und Monaten besonders viel – für manche zu viel – Raum in den Medien eingenommen. Sie seien nach wie vor eine globale Supermacht, sagt Jordan Davis. Über die Entwicklungen dort zu berichten, sei wichtig, da die dort getroffenen Entscheidungen Auswirkungen auf Europa haben. Und damit auch auf die Schweiz. «Auch ohne Mitglied der NATO zu sein, profitiert die Schweiz aufgrund ihrer geografischen Lage von der Stabilität des europäischen Kontinents. Eine Stabilität, die auch von den USA garantiert wird.» Nicht zuletzt, weil Donald Trump seine Zweifel am Engagement in der NATO in den Wahlkampf einbrachte, ist der Wahlausgang auch für die Schweiz von grosser Bedeutung. Und ganz generell und von den Wahlen abgesehen: die wirtschaftliche Entwicklung in den USA und die Entwicklung von sozialen Bewegungen dort wirken sich letztlich immer auf Europa aus. Umso wichtiger ist eine professionelle Berichterstattung über aktuelle Ereignisse.

Lucie Donzé, November 2024

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